Lämmchen im Einsatz
Fotos: Corinna Eichberger-Renneisen – Text: Petra Neumaier
Viel sieht man von ihnen erst mal nicht. Eingemummelt in rote Kuscheldecken sind die zwei. Aber dann streckt George neugierig seinen kleinen Kopf heraus, schnuppert, gehalten von den schützenden Armen von Florianrian Hradetzky, und beobachtet den Tumult um ihn herum. Die vielen „Oh nein, wie süß“- und „Ach, wie lieb“-Entzückungsrufe scheinen das zehn Tage alte Lämmchen nicht zu beeindrucken. Entspannt lassen er und die schwarze Helga, die auf dem Arm von Silvia Hradetzky sitzt, die Streicheleinheiten über sich ergehen, während selbst die müdesten Augen der Betagten zu leuchten beginnen. Es ist Besuchszeit im Altenheim Theresianum in Fürstenfeldbruck, und die Lämmchen sind im sozialen Einsatz.
Zu Hause in der Küche des Reihenhauses in Fürstenfeldbruck von Familie Hradetzky: Ein dicker Teppich liegt über den Fliesen, eine Kindersicherung setzt an dem offenen Durchgang Grenzen – wenn sie sein müssen. Tagsüber dürfen sich die kleinen Lämmchen, zu denen auch der kleinere Zwillingsbruder von George, Fred, gehört, im Untergeschoss und Garten frei bewegen. Ihr Fell scheint ein paar Nummern zu groß für die zarten Körper zu sein, die dürren Beinchen zu lang, um den Körper immer im Gleichgewicht zu halten. Etwas wacklig tapsen sie umher, das Hinterteil gewickelt in Babywindeln: So gibt es kein Malheur. Gern liegen die drei im Hundebett von Pudeldame Ronja. Sie hat nichts dagegen, auch wenn sie aus ihrem Napf trinken. „Nur aufs Sofa dürfen sie nicht, da wird sie sauer“, sagt Silvia Hradetzky (45) und lacht.
Angefangen hat alles vor fast vier Jahren, als die gelernte Kinderkrankenschwester, Erziehungsmediatorin und Mitarbeiterin in der Bürgerstiftung („Willkommen im Leben“) als landwirtschaftliche Aushilfe auf dem Unglerthof in Puchheim anfing. „Mit 40 überlegt man, ob nicht doch noch etwas anderes auf einen wartet, und die Landwirtschaft hat mich immer schon interessiert“, sagt die hübsche Mutter von drei Kindern. Auf dem Bio-Schafzuchtbetrieb erlebt sie dann, dass hin und wieder Lämmchen von ihren Müttern nicht angenommen werden – oder Mamas bei der Geburt sterben. Die Winzlinge mit der Hand aufzuziehen, ist aufwendig und im laufenden Betrieb oft nicht möglich – die Alternative … Silvia Hradetzky schüttelt den Kopf. Berti war schon fast kalt, als das kleine, schwache Drillingslämmchen gefunden wurde. „Probieren wir es“, sagte auch ihr Mann.
Gemeinsam mit den Kindern päppelten sie den wackeligen Winzling auf. Mit viel Liebe und Einsatz: Tag und Nacht muss anfangs alle zwei Stunden gefüttert werden. „Gar nicht so einfach“, sagt Florian Hradetzky und meint damit auch die Milch. Weil der käufliche Ersatz nicht immer gut vertragen wird, tüftelten die beiden im Laufe der Zeit eine Mischung aus H-Milch und griechischem Joghurt aus. Davon gibt es sieben Mahlzeiten am Tag und genau abgewogen zehn bis zwölf Prozent des Körpergewichts. Die letzte Mahlzeit ist um 23 Uhr, um 6 Uhr geht es wieder los. Gewickelt wird zwei- bis dreimal am Tag. Puh!
Trotzdem nimmt das Paar nur vier Wochen später Lola auf … und dann noch viele mehr: Rund 15 Schafe sind aktuell in der Herde, die auf einem Grundstück in Puch ab einem Alter von etwa sechs bis acht Wochen eine Heimat finden. Florian (47), Krankenpfleger, Qualitätsmanager und Programmierer von Apps, hat ihnen sogar einen mobilen Stall gebaut. Die Unterstützung der Pucher ist außerdem enorm: Ein Nachbar stellt sogar jederzeit Wasser und Strom für die Wärmelampe zur Verfügung. Urlaub ist seitdem gestrichen. „Brauchen wir auch nicht mehr“, sagen die beiden Pflegeeltern, denn Erholung findet auf der Weide statt. Schafe entschleunigen und machen Spaß, „nur das Wickeln der kleinen Racker ist schwierig“, sagt Silvia Hradetzky und lacht.
Auf die Idee, die Lämmer in Kindertagesstätten, Altenheimen und Hospizen einzusetzen, kam das engagierte Paar vor einem Jahr. Die Wirkung der kuscheligen Tierchen ist berührend. Eben noch unbändige Kinder werden ruhig, demente Menschen wachen für einen Moment aus ihrer Dämmerung auf, und sogar die alte Dame, die sonst wie leblos in ihrem Bett liegt, regt sich. Da werden sogar die Augen einer Pflegerin feucht. „Ihre Finger bewegen sich, das haben wir noch nie erreicht“, ruft sie begeistert, als die Frau die knochigen Finger in die zarte Wolle von Helga taucht.
Drei bis vier Stunden dürften die Tiere im Einsatz sein, ihre Zieheltern machen aber nach eineinhalb Stunden Schluss. Die Lämmchen lassen sich zwar nichts anmerken, die Einsätze sind für sie aber sicher aufregend. Neben den Besuchen in sozialen Einrichtungen bieten Silvia und Florian Hradetzky auch Bastelstunden mit der Rohwolle oder das Pressen von Heu an. Ansonsten ist es der Familie Hradetzky wichtig, dass ihre Schafe ein schönes, langes Leben auf der Weide haben, „ein jedes ist uns ans Herz gewachsen“, sagt die Lamm-Ersatzmutter, und dass sie sich über Besuch an der Weide freut. Bänke laden zum stillen Beobachten ein. „Die neugierigen Schafe kommen meist von allein.“
Für Silvia und Florian Hradetzky sind sie trotz des hohen Kuschelfaktors immer noch Nutztiere: Sie werden geschoren, und wenn es ihnen gut geht und sie sich auf der Weide gut benehmen, haben sie auch ein langes Leben bis zum natürlichen Ende.
Ihr Traum: Ein kleines, landwirtschaftliches Häuschen! „Da hoffen wir auf unser Netzwerk, die vielen Kontakte und auf Unterstützer“, sagt Florian Hradetzky. Natürlich braucht das Anwesen viel Platz für die Begegnung von Mensch und Tier.