Sonne in Nebel

Sonne in Nebel

 Fotos: Simon Katzer - Text: Petra Neumaier

Gerade einmal 18 Häuser gibt es hier, an denen eine mehrfach geflickte Straße vorbeiführt. Sie ist auch die einzige in dem beschaulichen Örtchen, dessen Name hoffentlich kein Omen ist. Obwohl im Internet viele Bilder zu sehen sind, auf denen sich das Ortsschild sinnigerweise hinter einem weiß-grauen Schleier versteckt. „Eigentlich scheint in Nebel mehr die Sonne als in Germering, weil wir höher liegen“, sagt Marianne Drexler und als „Ureinwohnerin“ muss sie es ja wissen.

 

Ein gelber Briefkasten; eine spärlich bestückte Infotafel der Stadt Germering; eine Haltestelle mit Bank; ein kleiner Dorfweiher. Auf den ersten Blick: Nichts los, in Nebel. Nur bei dem ansässigen Betrieb regt sich Leben. Wie ausgestorben wirkt der Ort selbst, wären nicht ein paar Fahrzeuge, die auf der Flickenstraße den kurzen Hügel hinaufhoppeln. Schon in der Kurve öffnet sich jedoch ein herrliches Panorama: auf Pferdekoppeln, flankiert von gepflegten Reitställen und eingerahmt von saftigen Wiesen und dichten Wäldern am Horizont. Hier oben, wird später Friedrich Drexler erzählen, befand sich in dem größten und gutsähnlichen Gebäude sogar ein Gasthaus. Von etwa 1870 bis 1920 genossen Ausflügler den hübschen Biergarten und die schöne Aussicht.

 

Ein Ort der Besinnung ist die kleine Kapelle, in der Marianne Drexler Schlag 12 Uhr die Glocke läutet. „Außer der Reihe läuten hat Auswirkungen“, sagt sie und ihr Mann erklärt, dass das nur im Todesfall erlaubt sei: Dreimal erklingt das Glöckchen, wenn in Nebel ein Mann gestorben ist, zweimal bei einer Frau.  

Leider werde die Kapelle hin und wieder von Langfingern besucht. Ihnen sei an dieser Stelle gesagt: Der Opferstock ist leer, die Marienstatuen sind nur Nachbildungen aus Gips (die Originale sind in Germering in Sicherheit).

 Dass es in Deutschland noch einen weiteren Ort gibt, der „Nebel“ heißt, erfuhren die Einheimischen im zweiten Weltkrieg: Eine Feldpost hatte damals den Umweg über die Nordseeinsel Amrum genommen und kam entsprechend spät bei dem Adressaten an.

Die kleine Hofmarkskapelle St. Maria mit ihrem süßen Türmchen ist der Blickfang in Nebel. Die zartblau gestrichene Holztür ist offen, „was nützt eine Kapelle, wenn man nicht hineingehen kann“, sagt Marianne Drexler. Entzückend ist das Innenleben, über das sich ein Sternenhimmel spannt: drei kleine Bankreihen, ein schlichter Altar mit Marienstatuen. Das Glockenseil baumelt von der Decke. Punkt 12 Uhr zieht Marianne Drexler an dem Strick. Jeden Tag, und seit Jahrzehnten. Zwei Minuten schallt dann das helle Glöckchen durch den Ort, während die Mesnerin ein Gebet spricht. So war das schon vor ihr und so wird es hoffentlich auch bleiben. Genauso wie das Kripperl vor Weihnachten, das sie mit viel Liebe aufbaut und schmückt, und das viele Besucher anzieht.

 

Ihr Mann Friedrich Drexler ist Vorstand des Heimatpflegevereins Unterpfaffenhofen. Und er kann viele spannende Geschichten über Nebel erzählen, die man hier niemals erwartet hätte. Wie die von dem Ururenkel des Hofrates Heinrich Föringer, der die Kapelle im Jahr 1850 den Bewohnern für 60 Gulden auf Kredit überlassen hat. Erst vor ein paar Jahren zeigte der Nachfahre den Original-Vertrag (Kopien liegen im Stadtarchiv Germering sowie im Pfarrarchiv) und laß Friedrich Drexler die Bedingungen der quasi Schenkung vor: tägliches Glockenläuten zur Mittagszeit (aha!); jährlich ein Gottesdienst (wird heute stets bei der Maiandacht der CSU erledigt), die Einbeziehung der Familien Föringer und des Freiherrn von Schab ins Gebet (siehe Maiandacht) und – hier wird der Ort vertragsbrüchig – die „Zusendung von sieben Eiern an Ostern“. Friedrich Drexler lacht. Der Ururenkel will auf die Begleichung der Schuld verzichten. Aber „vielleicht schicken wir ihm nächstes Jahr trotzdem einmal Ostereier.“

 

Grundsätzlich ist es hier still und friedlich. Nur ab und zu dröhnen Flugzeuge über den Ort: Starts und Landungen vom Sonderflughafen Oberpfaffenhofen – insgesamt 10 000 Flugbewegungen im Jahr sind erlaubt. Bei besonderen Anlässen, wie zur EM im Sommer, donnern alle paar Minuten Maschinen über die Idylle. „Früher war es schlimmer, man gewöhnt sich dran“, sagt Friedrich Drexler, der selbst bei Dornier und Airbus gearbeitet hatte. Nachts ist es dafür sehr ruhig, dann kommen sogar die Rehe in die Ortschaft, streifen Füchse durch die Gärten.

Und was gibt es sonst noch in Nebel? Außer der nepalesischen Hebamme oder dass sich in Nebel ein schmucker Reitstall befindet. Oder dem bekanntesten Kinderbuch-Illustrator, der hier bis zu seinem Tod lebte. „Wir haben sehr schöne Bäume“, schwärmt Friedrich Drexler und zeigt auf die unmittelbar vor ihm befindliche riesige Esche. Die war schon auf einem Foto aus dem Jahr 1930 sehr stattlich und ist folglich sehr alt. Ein weiteres Prunkstück ist der gigantische Birnbaum in seinem Garten. Er ist sogar unter den größten in ganz Bayern gelistet. Drei Eichen haben außerdem den Naturdenkmalstatus. Respekt. Vor allem hat aber Nebel eines: sehr herzliche Bewohner.  

 

Steckbrief

Lage: Etwa zwei Kilometer südwestlich von Germering an der Staatsstraße 2068.

Geschichte: Erste Funde von Menschen aus der Altsteinzeit (vor 35 00 Jahren); bearbeitetes Steinwerkzeug belegt, dass hier um 7500 v. Chr. Jäger und Sammler lagerten. 1173 Erste urkundliche Erwähnung als „Nebilriet“, als der dortige Besitz von Leuten aus Brixen an das Kloster Polling übertragen wurde. 1424 „Nybel“. 1687 wird Nebel mit Holzkirchen zur Hofmark erhoben, die dem bayerischen Hofkammerrat Johann von Hufnagel überlassen wurde. 1848 Auflösung der Hofmark im Zuge der Bauernbefreiung. Der Ort besteht aus fünf Wohngebäuden, vier Stadln und der Marienkapelle. 1852 Nebel wird der Gemeinde Alling zugewiesen und 1934/35 für 4000 Reichsmark wieder Unterpfaffenhofen unterstellt. Ab 1962 langsame Besiedlung innerhalb der Baugrenzen. Seit der Gebietsreform 1978 ist Nebel ein Ortsteil von Germering.

Einwohner: rund 80

Berühmtester Bewohner: Herbert Lentz, Grafiker und Kunstmaler, Illustrator von rund 250 Kinderbüchern

Baudenkmäler: Ehemalige Hofmarkskapelle St. Maria, 1725 gebaut und 1979/1980 und 2009 restauriert und renoviert.

Öffentlicher Nahverkehr: Buslinie 852

Besonderheiten: Beim nahen Steinberg, der höchsten Moränen-Erhebung (607 Meter) soll es einen „magischen Ort“ geben.

Wanderwege: Rund um Nebel durch Wälder und über Felder. In der Ebene Richtung Germering gibt es eine Infotafel: Hier wurden die Spuren der ersten Jäger gefunden.

Tipp: Richtung Alling, zweites Sträßlein links zum Hühnerhof Kiemer: Donnerstag und Freitag frische Kuchen und Brote im Hofladen.

 

Vormerken: 2025 wird der 300. Geburtstag der Kapelle gefeiert.

 

Der Kopf vor dem Stadtmuseum

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Die Geschichtenerzählerin auf vier Saiten

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