Die Geschichtenerzählerin auf vier Saiten

Die Geschichtenerzählerin auf vier Saiten

Fotos: Simon Katzer - Text: Petra Neumaier

 

Wenn Maya Wichert sanft ihre Geige unter ihr Kinn legt und mit dem Bogen über die Saiten streicht, öffnet sich der Himmel über ihr. Wie unsichtbare Fäden ziehen dann zarte Klänge durch Raum und Zeit. Und mit ihnen fliegen Gedanken, schweben Bilder und werden zu Geschichten. Die gerade einmal 18-Jährige aus Gröbenzell, die schon früh als „Wunderkind“ an der Violine bezeichnet wurde tritt jetzt, nach ihrem Abitur und Start ihres Musikstudiums in Hannover, in eine neue Phase ein: „Nun bin ich ‚nur‘ noch eine von vielen Talenten. Bei so vielen tollen Musikern ist es auch eine Sache von Glück, welchen Platz man erreichen kann“, sagt die bescheiden und sehr natürlich gebliebene junge Frau. Angst, Erwartungen nicht zu erfüllen, hat sie jedoch nicht. Weil nicht der „Platz“, sondern das Spiel auf der Geige das Wichtigste in ihrem Leben ist.  

 

Die Koffer sind gepackt. Am 1. Oktober startet die Musikhochschule in Hannover. Hauptfach natürlich Geige, Nebenfach Klavier, Musiktheorie und Geschichte. Maya Wichert, die hier im hohen Norden schon seit Jahren bei Professor Krzysztof Wegrzyn Unterricht hat, freut sich auf diesen neuen, unabhängigen Lebensabschnitt Richtung Erwachsensein: „Die Musik ist mein Leben. Seit ich denken kann, liebe ich die Geige und es gab keinen Augenblick, in dem ich nicht üben oder spielen wollte“, erzählt sie.

 

Die Geige lässt Maya Wichert nicht aus der Hand, vor allem, wenn sie verreist. Dann nimmt sie das Instrument sogar mit auf die Zugtoilette. Eigentümer der Violine ist Deutschland und sie wird verwaltet von der Deutschen Stiftung Musikleben, die junge, hochbegabte Musiker auf ihrem Weg in eine professionelle Musikkarriere unterstützt. So auch Maya Wichert, die das wertvolle Instrument aus dem 18. Jahrhundert des neapolitanischen Meisters Nicolo als Stipendiatin geliehen bekommen hat. Eine große Ehre und Verantwortung, die sie regelmäßig bei Vorspielen wieder neu erlangen muss.

Begonnen hat es eigentlich mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester Liho. Sie spielte schon Violine, als Maya auf die Welt kam. Der Klang verzaubert die Kleine. Kaum erwarten kann sie den ersten Unterricht. Doch „erst“ im Alter von vier Jahren ist die Lehrerin einverstanden. Die Haltung, die Führung des Bogens, Rhythmen, Noten und die ersten Striche auf den Saiten: Alles lernt sie auf spielerische Weise. Das macht Spaß.

 

Und so wundert es nicht, dass Maya Wichert den restlichen Tag nach dem Kindergarten mit ihrem Instrument verbringt. „Ich hatte ja schon am Vormittag mit Gleichaltrigen gespielt“, sagt sie mit einem Lächeln. Ihre Lehrer sind erst Simone, später Peter Michielsen, die Gründer eines der renommiertesten Jugendkammerorchester in Deutschland, das PJKO (Puchheimer JugendKammerOrchester). Hier spielt das kleine Mädchen erstmals im Orchester – bei den „Streichhölzern“.

 Die Mutter von Maya Wichert kam vor 30 Jahren aus Japan nach Karlsruhe, um Literatur zu studieren. Dort traf sie ihren Ehemann. Der Vater spielt kein Instrument, die Mutter hatte als Kind Klavier gespielt. Die erste Tochter war ebenfalls auf der Violine talentiert, belegte bei „Jugend musiziert“ vordere Plätze, wechselte aber dann zur Bratsche – heute ist es nur noch das Hobby der Berliner Physikstudentin.

Nie, versichert Maya Wichert, muss sie zum Üben überredet werden. „Das war für mich einfach nur ein Spiel“, sagt sie. Die Freude, die Ungezwungenheit und Liebe für jede einzelne Note begeistern Lehrer wie Zuhörer. Schon bald steht das zierliche „Wunderkind“ bei großen Konzerten als Solistin auf der Bühne. Die Kritiker überschlagen sich in Lobenshymnen: „Traumwandlerische Beherrschung“, „unglaubliche Emotionstiefe“, „sehr nuanciert, farbig“, „viel Feuer, dass die Funken sprühen“, lauten einige Aussagen. „Stumm staunend, dann tobend ist das Publikum“, beschreibt ein Artikel. Reihenweise räumt das Ausnahmetalent bei „Jugend musiziert“ Preise ab, als eine der jüngsten Studentinnen jemals besucht Maya Wichert die Münchner Musikhochschule. Die Ferien verbringt sie bei den Großen der Zunft in deren Meisterkursen, darunter Stargeigerin Julia Fischer. „Es war sehr interessant, viele neue Perspektiven kennenzulernen.“

 

Maya Wichert hat vor jedem Auftritt großes Lampenfieder – egal ob fünf oder 1000 Leute im Publikum sitzen. Atemübungen und die Konzentration auf das Stück helfen ihr. Beim Spielen taucht sie in die Noten ein und schaltet das Denken ab. Bei schnellen Passagen blendet sie die Noten aus und denkt sie sich irgendwelche Wörter aus. „Die Finger wissen allein, was sie zu tun haben.“

Maya hat das absolute Gehör. Für das Geigenspiel sei das aber nicht so relevant, sagt sie. „Aber beim Notendiktat in der Schule, war es schon ein Vorteil“

„Die Talente sind oft gar nicht so ungleich, im Fleiß und im Charakter liegen die Unterschiede.“ (Zitat von Theodor Fontane, eingerahmt an der Wand)

Maya ist fleißig. Aber längst nicht so fleißig, wie andere, sagt sie. „Ich übe nicht so viel – während der Schulzeit und Abiturphase nur drei bis fünf Stunden. Das ist wenig im Vergleich zu Schülern in anderen Ländern, die bis zu acht Stunden am Tag üben“, versichert sie. Mehr als sechs Stunden schaffe sie nicht „und mehr hat dann auch keinen Sinn.“ Schließlich will die Heranwachsende, die auch Popmusik mag und ein Fan von Taylor Swift ist, noch Zeit haben für andere Dinge: Lesen (ihre Regale sind voll von Abenteuerbüchern); das Schreiben eigener Geschichten; das Tanzen (Flamenco), das Schwimmen mit Freundinnen im Olchinger See.

 

Im Schnitt also „übt“ sie vier Stunden. Im Sitzen, im Stehen. Auf dem linken Schlüsselbein zeugt eine kleine Schramme von dem täglichen Druck, ein leichter Schatten auf der Haut unter dem linken Kiefer markiert den Kinnhalter. Das Spielen auf der Geige ist anstrengend, „aber es macht wahnsinnig Spaß: das Erarbeiten neuer Stücke, das Hineindenken in die Komposition“, zählt sie auf und ihre dunklen Augen funkeln wie Sterne. Denn im Spiel schaltet ihr Kopf ab. Der Alltag ist weit weg. Der Klang, die Vibration der Saiten, die sich auf den Körper übertragen, öffnen eine neue Welt. Wie ein Rausch, der in weit entfernte Dimensionen führt.

 

„Wichtig ist nicht, besser zu sein als alle anderen. Wichtig ist, besser zu sein als du gestern warst.“ (Zitat aus Japan an der Wand)

 

Trotzdem gibt es Phasen, in denen sie an sich zweifelt. „Dann ist es wichtig, dass die Eltern da sind und unterstützen.“ Einmal, mit 14 Jahren, bekam sie nach einem Konzert eine negative Kritik. „Die Leidenschaft fehlt“, hieß es. „Ich war unendlich traurig“, erinnert sich Maya Wichert. Aber dann dachte sie nach, ob nicht etwas an den harten Worten dran sein könnte – und machte es besser. Sie zuckt mit den Schultern. Rezensionen liest sie seitdem trotzdem nicht mehr. „Die Kritiken meiner Eltern und Lehrer sind mir sowieso wichtiger.“

 

Maya Wichert hat nicht den Anspruch, perfekt zu sein. „Fehler sind menschlich, und mir ist es viel wichtiger, der Musik eine Persönlichkeit zu geben.“ Nur dann könne man sie auch fühlen. „Die Freiheit und die Möglichkeiten, mit den gleichen Noten unterschiedliche Geschichten zu erzählen, macht für mich Musik aus.“ Die Technik ist für Maya Wichert darum nur ein Mittel zum Zweck, damit sie mit der Musik machen kann, was sie will. Diese Technik beherrscht sie wie kaum eine andere. Die allermeisten Stücke kann sie auswendig, Melodie und Bewegung sind verinnerlicht. In jedem Stück spielt sie ihre eigenen Emotionen hinein. Darum kann sich das gleiche Stück an unterschiedlichen Tagen ein klein bisschen anders anhören – auch das ist menschlich und unterscheidet sie von perfektionistischen Musikern, die stur nach Noten spielen. Maya Wichert stellt sich vielmehr mental auf die Atmosphäre des Stückes ein, auf ihre Emotionen. „Wenn das auch meine eigene ist, dann passt doch alles“, sagt sie. „Und dann ist die Geige meine Stimme.“

 

Von Kindesbeinen an will die Gröbenzellerin Solistin werden – in Hannover macht sie jetzt erst einmal ihren Bachelor. Dort hat sie auch schon eine Freundin – und eine Wohnung, in der bereits eine Musik-Studentin lebte. „Das ist sehr wichtig, denn es ist nicht leicht einen Vermieter zu finden, der das Üben toleriert“, sagt sie und lacht ihr unbekümmertes Lachen. Später plant Maya Wichert eine Professur. „Im Grunde will ich aber nur die bestmögliche Version als Geigerin abliefern und dem Publikum eine schöne Zeit bereiten.“ 

 

 

Konzerte, Preise, Lehrer

Große Konzerte

(kommend) 2025 Auftritte mit der Anhaltischen Philharmonie beim 33. Kurt Weill Fest in Dessau.

(vergangen): Auftritte unter anderem bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, beim Klassik Festival llertissen, bei den Festspielen Europäische Wochen Passau sowie zahlreiche Auftritte als Solistin mit Orchestern wie der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim, den Ulmer Philharmonikern, den Jenaer Philharmonikern, dem Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks, dem Symphonieorchester Liechtenstein, der Philharmonie Baden-Baden, dem Stuttgarter Kammerorchester und dem Münchner Kammerorchester.

Gewinnerin

2019 Beim 9. Internationalen Louis Spohr Wettbewerb für junge Geiger in Weimar, sowie den Sonderpreis für die beste Interpretation eines Violinkonzertes aus der 3. Runde.

2021 des Discovery Award der International Classical Music Awards.

2023 des Karol Szymanowski Preis beim 2. Karol Szymanowski International Music Competition, Kattowiz, Polen. Neben mehreren ersten Preisen bei „Jugend musiziert“ errang Maya Wichert erste Preise beim „Florian Meierott“ Wettbewerb auf Schloss Erlach, beim Carl Bechstein Wettbewerb in Berlin, beim Anton Rubinstein Internationalen Wettbewerb für junge Geiger in Düsseldorf und beim Concorso internazionale „Il piccolo violino magico“ in San Vito al Tagliamento sowie den Dr. Konstanze Koepff-Röhrs Förderpreis.

Unterricht bei Sonja Korkeala, Lena Neudauer und Krzysztof Wegrzyn.

Meisterkurse u.a. bei Ana Chumachenco, Julia Fischer, Miriam Fried, Christoph Poppen und Midori.

 

Sonne in Nebel

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Cradle to cradle

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