Cradle to cradle
„Von der Wiege bis zur Bahre“ ist ein traditioneller Ausdruck, um das Leben zu beschreiben. Er gilt auch für Dinge: vom Neubau eines Gebäudes bis zu seinem Abriss, von der Fertigung eines Produkts bis zur Mülltonne, von der Fabrikation bis zur Schrottpresse. Der Chemiker Michael Braungart will das ändern. Statt „from the cradle to the grave“ sollten wir „from cradle to cradle“ denken, kurz C2C.
C2C ist nicht nur eine Idee, sondern längst ein erfolgreiches Beratungsunternehmen. Mit dem Designer William McDonough entwickelte Braungart zur Expo 2000 die „Hannover Prinzipien“, von denen eines lautet: „Geben Sie das Konzept Abfall auf.“ Das neue Konzept heißt Kreislauf, „Kreis statt Krise“. Die Idee: Schon bei der Herstellung eines Produkts muss geplant werden, dass es am Lebensende nicht nur zu irgendetwas recycelt wird, sondern dass daraus ein neues, verbessertes Produkt werden kann. C2C kann eindrucksvolle Beispiele vorweisen: Die riesigen Containerschiffe der Seespedition Maersk sind aus Bauteilen gefertigt, die für die nächsten Schiffe verwendet werden können. Alle Aufbauten bestehen aus Materialien, die sich sauber trennen lassen und mit wenig Aufwand für Neubauten eingesetzt werden können.
Weitere C2C-Ergebnisse sind Kreislauf-Sweatshirts von C&A, T-Shirts von Trigema oder die Sitzbezüge des Airbus. „Bergbau in der Stadt“ heißt ein C2C-Projekt, bei dem Rohstoffe systematisch erfasst und gesammelt werden, die bei Bauvorhaben entstehen. Noch besser wäre es, Häuser nicht abzureißen, sondern ökologisch umzugestalten. C2C hat es an Plattenbauten vorgemacht. Ein wichtiges Kreislauf-Prinzip ist Ästhetik: Ist ein Bauwerk, ein Fahrzeug, ein Produkt wirklich schön, werden es die Menschen so lange wie möglich am Leben erhalten.
Braungart und seine Frau Monika Griefahn, früher Umweltministerin in Niedersachsen, verloren vor elf Jahren eins ihrer drei Kinder. Ihr 24-jähriger Sohn starb an einer Krankheit, und das motivierte sie, „von der Wiege bis zur Wiege“ noch weiter zu denken: Menschen sind nicht auf der Welt, um die Ressourcen der Erde zu benutzen und eines Tages zu sterben, sondern um das Leben auf diesem Planeten zu erhalten und die Qualität des Lebens zu verbessern. Von der eigenen Wiege zu den nächsten Wiegen denken, den Wiegen der Kinder und Kindeskinder. Menschen leben, um Leben zu hinterlassen. Das macht die Angst vor dem eigenen Tod kleiner. Wer keine leiblichen Kinder hat, hinterlässt geistige Kinder: zukunftsfähige Konzepte und erhaltenswerte Bauwerke, fruchtbare Felder und Gärten voller Freude, Kunstwerke und Kompositionen, Poesie und praktische Innovationen. Das mag groß klingen, aber alles Große setzt sich zusammen aus unscheinbaren Bausteinen.
Seit ich das Konzept cradle to cradle kenne, sehe ich meine Umgebung neu. Ich sehe, wie wichtig es ist, liebevoll Schönes und Erhaltenswertes zu erschaffen, Nester zu bauen für zukünftiges Leben, und gute Gedanken zu hinterlassen für frohe nächste Generationen.
Werner Tiki Küstenmacher, 71 Jahre alt, evangelischer Pfarrer im Ehrenamt, Karikaturist und Buchautor, lebt in Gröbenzell. Sein neuestes Werk ist „365 Tage simplify your life“ im Nextlevel-Verlag.