Heilbaden in der Amper
Foto Corinna Eichberger-Renneisen/Archiv Fürstenfeldbruck und Olching – Text Petra Neumaier
Frisch umspielt das Wasser die Beine. Massiert den Bauch, streichelt die Arme. So lebendig ist der Fluss, so unbeschreiblich das Glücksgefühl, nach dem Schrecken des Kenterns! Das erste, wenn auch unfreiwillige Bad in der Amper vor vielen Jahren ist unvergessen. Und obwohl es richtig und gut ist, dass das Plantschen in unserem schönen Fluss wegen möglicher Kolibakterien offiziell verboten wurde (und damit Fischen und anderen darin befindlichen Lebewesen der Sonnenschutz-Ölfilm erspart bleibt – siehe Badeseen), ist es nur allzu verständlich, dass bis in die 1970er Jahre die Amper berühmt war – als Badegewässer und als ein heilendes noch dazu.
Die Geschichte der Amper als Heilbad reicht weit zurück. Bereits in den frühen 1840er Jahren hatte der Fluss den Ruf, besonders für Kurbäder geeignet zu sein. Empfohlen wurde das Bad von den Ärzten unter anderem bei Rheumatismus, Gicht und Krämpfen. Im Mai 1851 errichtete der Gastwirt Johann Steinherr aus Esting zwei Badehäuser zwischen seinem Heimatort und Olching – am Nebenbach der Amper zwischen der ersten und zweiten Brücke – und inserierte: „Amperbäder. Im romantisch gelegenen Dörfchen Esting, eine kleine halbe Stunde von der Eisenbahn-Station Olching, hat der unterzeichnete zum Gebrauche der in der letzten Zeit so berühmt gewordenen Amperbäder zwei Badhäuschen erbaut und ladet hiermit zum Gebrauche derselben ergebenst ein.“
Ein Grund für die Beliebtheit des Amperwassers war auch, dass die Münchner nicht mehr in der Isar baden durften. Mangels Kläranlagen war sie wohl zu verseucht, als dass ein Bad „wohltuend“ gewesen wäre. In Olching selbst begann die Hochzeit des Badetourismus um 1900. Bis zu 15 000 Gäste wurden an manchen Tagen gezählt. Ein Haupt-Badeplatz war das Areal bei der Kraftzentrale 1. In den 1920er Jahren hatte Johann Leingärtner hier ein Kaffee- und Weinhaus eingerichtet, das etwas später als „Strandcafé Ullmann“ bekannt werden sollte. Gut besucht waren zudem die Biergärten, in denen oft Blaskapellen für die Badegäste aufspielten. Für die Kinder war der Badetourismus ein gutes Zubrot. Verdienten sie sich doch ein ordentliches Taschengeld mit Zigarettenholen und Pfandflaschen einsammeln – und so mancher verlorene Pfennig auf den Wiesen und im Kies füllte ihre Kassen.
Nur dem Pfarrer war das Badevergnügen der Städter ein Dorn im Auge. Am 6. Juni 1922 schrieb er an den Olchinger Gemeinderat: „Das Pfarramt ersucht … bez. des Badens in der Amper strengste und strikteste Vorschriften zu erlassen; denn es ist ein Skandal, der seinesgleichen sucht, wie es z. Z. beim Baden getrieben wird, namentlich von Elementen aus der Stadt, die als Pestbeulen die Nacktkultur durch ihr Beispiel auch in Olching propagieren zu wollen scheinen! Es muss strengste Scheidung der Geschlechter beim Baden gefordert werden, ferner Badeanzug u. Anweisung der Plätze, an denen, nach Geschlechtern getrennt, gebadet werden darf! Das Pfarramt ersucht … durch diesbez. Vorschriften nicht den Sodomgeist in unserer Gemarkung tragen zu lassen. Ergebenst, Pfanzelt, Pfarrer.“
Drei Jahre dauerte es, bis tatsächlich Baderegeln erlassen wurden. Ab sofort war den weiblichen Personen nur das Baden im Badeanzug, männlichen nur mit Badehose („nicht mit einem sogenannten Dreikant“) gestattet. Beim An- und Auskleiden seien zudem „die Gebote der Sittlichkeit und des Anstands“ zu beachten, auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen oder nahe öffentlicher Gebäude und Wirtschaften sei „das Herumtreiben im Badeanzug“ verboten: Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafen bis zu 150 Mark oder 14 Tagen Haft bestraft.
Am 10. Dezember 1936 verlieh der Landesfremdenverband München und Südbayern Olching die Bezeichnung „Fremdenverkehrsgemeinde“ und „Erholungsort“. Allerdings wurde in der Folge die insgesamt positive Berichterstattung über Olching als Badeort durch gelegentliche, auch sexuelle Übergriffe getrübt, besonders im Sommer 1937.
Nicht nur in Olching konzentrierte sich der Badetourismus – ebenso in Fürstenfeldbruck sprangen Mann und Frau in die Amper. Im Ortskern allerdings abgeschirmt vor neugierigen Blicken: Historische Bilder belegen mehrere Badehütten vor dem heutigen Ristorante Venezia, die um 1900 der etwas prüderen Brucker Gesellschaft das Baden in der Amper erlaubten. Vor Blicken geschützt und sicher eingezäunt vor der Strömung. Weiter flussaufwärts gab es bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Amperbad – oder Familienbad genannt. 1946 zerstörte ein starker Sturm die Holzhütten, die auch als Umkleidekabinen dienten. Renoviert und wiedereröffnet wurde die Anlage 1950 als ein öffentliches Freibad mit Flussbad, das an schönen Wochenenden bis zu 10 000 Besucher anlockte. Eine Besonderheit war eine Holzbrücke mit einem zehn Meter hohen Sprungturm sowie eine Wasserrutschbahn am Ostufer. 1973 schlossen neue Richtlinien die Kombination eines öffentlichen Freibades mit einem Flussbad aus. In den 1980er Jahren folgte wegen zu hoher Bakterienbelastung das Badeverbot in der Amper.
Noch heute erscheint unter den Stichworten „Baden“ und Grafrath“ der Hinweis auf Google: „Badefluss Grafrath – Rund um die Uhr geöffnet“. Fast 100 Jahre her ist es, dass der Verschönerungsverein Grafrath Wildenroth und Unteralting e.V. unter dem Vorsitz von Oberstleutnant a.D. Heinrich Orff (Vater von Carl Orff) an der Amperleiten (heute Badstraße) eine Badeanstalt errichtete. „Dort holten sich die halbwüchsigen Buben erste Eindrücke von der weiblichen Anatomie, indem sie durch die Astlöcher der Kabinen lurten“, erzählt eine Chronik. Eine „Mutprobe“ war, bei hohem Wasserstand durch das Wehr bei der Alten Mühle zu schwimmen. Die Legende vom „Riesenwaller“ hielt sich hier lange, Aale im Schlamm waren Realität und sorgten für Angst und Schrecken.
In den Nachkriegsjahren war das Bad verschwunden. Erst Anfang der 1950er Jahre wurde dort, wo die Amper aus dem Moos kommt, ein sogenanntes „Kinderbad“ errichtet – mit Sprungbrett! Eine Zeitzeugin erzählt. „Aufgeschlagene Knie, kaputte Zehenspitzen oder Schnittwunden vom scharfen Schilf waren nach ein paar Tagen verheilt: Die Amper war ein Heilwasser: gefiltert und gereinigt kam sie aus dem Moos.“
Hinweis: So schön ein Bad in der Amper auch ist, der Fluss ist nicht so harmlos, wie er scheint. Starke Strömungen (zuweilen unsichtbar im Untergrund) und Schlingpflanzen kosten immer wieder Badenden das Leben. Zudem ist der Fluss und seine Ufer ein empfindliches Ökosystem, das es zu schützen gilt. Wenn schon baden in der Amper, dann bitte mit Vorsicht und Rücksicht auf die Natur. Und generell gilt: Müll nicht liegen lassen. Vielen Dank!
Quellen: Stadtarchiv Dr. Gerhard Neumeier; Chronik „Olching auf dem Weg zu Stadt“; Chronik „Der Landkreis Fürstenfeldbruck“