Es ist, wie es ist

Es ist, wie es ist

Fotos: Simon Katzer

Text: Petra Neumaier

 

Ganz so „fremd“ sind die ausländischen Bäume im Forstlichen Versuchsgarten auch nicht: „Mammutbäume gibt es bei uns, nur halt in Form von Braunkohle“, erklärt Michaela Amann und nennt diese und andere Bäume deshalb „Spätheimkehrern“. Hingegen seien …

Ganz so „fremd“ sind die ausländischen Bäume im Forstlichen Versuchsgarten auch nicht: „Mammutbäume gibt es bei uns, nur halt in Form von Braunkohle“, erklärt Michaela Amann und nennt diese und andere Bäume deshalb „Spätheimkehrern“. Hingegen seien viele Gewürze und Lebensmittel auf unseren Äckern auch Neophyten, also Pflanzen, die hier nie heimisch waren.

Das Holz der einfachen Hütte knarzt. Es ist heiß hier drin, wenn es draußen heiß ist. Es ist kalt hier drin, wenn es draußen kalt ist. Ein einfacher Holzofen steht in der Ecke „und so schnell kann man gar nicht hacken und nachschieben, dass es hier mal warm bleibt“, lacht Michaela Amann, der eigentlich nicht so leicht zu kalt, zu heiß oder zu nass ist. Geschweige denn der Boden zu hart, um zur Not in der Hütte auf der Isomatte zu übernachten. Die Försterin ist bei jedem Wetter draußen, im Wald, ihrem zweiten Zuhause, der für sie Medizin und Spiegel der Gesellschaft ist, ein Geschichtsbuch mit Ausblick in die Zukunft. Michaela Amann, Leiterin des Forstlichen Versuchsgartens in Grafrath, wird in den kommenden Jahren hier nicht nur das Projekt „Welt.Erlebnis.Wald“ realisieren. Sie bringt den Besuchern auch weit mehr bei als die Namen von Bäumen …

 

Wenn Michaela Amann nach Grafrath kommt, führt sie der Weg stets zu „Seppi“. Egal zu welcher Jahres- oder Uhrzeit. Und dann lehnt sie sich an den weichen Stamm des über 100 Jahre alten Mammutbaumes, blickt hinauf in die 35 Meter hohe Krone und genießt die wohlige Wärme, die die flauschige Rinde selbst im kältesten Winter noch abstrahlt. Die Försterin und Heilpraktikerin, die über die Heilkraft der Pflanzen Bescheid weiß, sie sammelt, konserviert und nutzt als „Esoterikerin“ abzustempeln, wird ihr nicht gerecht. Michaela Amann ist eine Achtsame, eine Beobachtende und von ständiger Neugier nach Wissen Getriebene.

Einfach: Das Büro im Forstlichen Versuchsgarten.

Einfach: Das Büro im Forstlichen Versuchsgarten.

 

Entsprechend wechseln in rascher Folge philosophische Gedanken, heilende Kunde und forstliches Wissen: Bei Michaela Amann liegen diese so nah beieinander, dass man kaum mitkommt, wenn sie eben noch über Leben und Tod sinniert, dann von kräftigenden Wurzeln erzählt und in der nächsten Sekunde über Nutzhölzer und ihre Verwendung informiert. Mal marschiert sie stramm den Hügel hinauf, dann wieder schwebt sie nahezu langsam und achtsam über den weichen Boden des Eibenwaldes.

 

„Ich lebe viele Leben“,

 

ist ein Satz, den sie noch öfter sagen wird und immer mit den glücklich strahlenden Augen eines Menschen, der zufrieden ist mit dem was er tut und mit dem, was er ist. 

Plan für das neue Gebäude im neuen Welt.Erlebnis.Wald.

Plan für das neue Gebäude im neuen Welt.Erlebnis.Wald.

 

Geboren wird Michaela Amann im Landkreis Straubing. Auf einem Bauernhof mit weiten Feldern. Sie ist fünf Jahre jung, als sie erstmals, nach einem Schneebruch, eine halbe Stunde „und kleine Ewigkeit“ Autofahrt entfernt einen Wald betritt. „Das wohlige Gefühl“ trotz der Zerstörung wird sie nie vergessen. Michaela Amann ist sehr natur- und weniger heimatverbunden. Sie will Medizin studieren, belegt Biologie und Latein als Leistungskurse, arbeitet ehrenamtlich im Rettungsdienst des Roten Kreuzes. Merkt hier aber, dass ihr der Tod zu schaffen macht. Bei einem Ferienjob in einer Molkerei lernt sie einen Studenten der Forstwissenschaft kennen und stellt fest:

 

„In der Schule lernt man zwar den Citronensäurezyklus, aber keine drei Pflanzen, wo er stattfindet!“

 

Michaela Amann studiert bis zum Dipl. Ing. der Forstwirtschaft, will dann einen Waldkindergarten gründen und macht nebenbei eine externe Umschulung zur Erzieherin. Mit 24 Jahren schafft sie die forstwirtschaftliche Prüfung, wird nach Erlangen versetzt, wo sie, die jüngste Försterin Bayerns und Erzieherin, das erste ihrer bald drei Walderlebniszentren aufbaut. Die ersten drei Monate schläft sie im Sozialraum auf der Isomatte, „abends liefen immer Tränen“, sagt sie jetzt lachend.

Michaela Amann (45) hat bereits in Erlangen und Regensburg ein Walderlebniszentrum aufgebaut. In Grafrath ist ein Gebäude mit 380 Quadratmeter umbauter Fläche geplant, das sich – wie ein Baumstamm – in zwei Bereiche teilt: einen Vortragsraum mit Küc…

Michaela Amann (45) hat bereits in Erlangen und Regensburg ein Walderlebniszentrum aufgebaut. In Grafrath ist ein Gebäude mit 380 Quadratmeter umbauter Fläche geplant, das sich – wie ein Baumstamm – in zwei Bereiche teilt: einen Vortragsraum mit Küche und Büro- und Sanitärräume. Fertigstellung ist im Jahr 2021 geplant. „Sofern wir nächstes Jahr bauen dürfen.“

 

„Da ist man beruflich oben und liegt am Boden.“

 

Aus privaten Gründen wechselt sie nach Kelheim in die Waldbauernschule Kelheim. Doch bald fehlen ihr das Team und die Kinder und nachdem sie selbst das erste von zwei Kindern bekommt, wechselt sie wieder und baut mit einem Team das Walderlebniszentrum Regensburg auf. Zehn Jahre arbeitet sie in Teilzeit – neben einer Ausbildung zur Heilpraktikerin.

 

„Ich bin sehr neugierig“,

 

sagt Michaela Amann, die in dieser Zeit auch Gebärdensprache und Tschechisch lernt. Eineinhalb Jahre behandelt sie ausschließlich in der Praxis. Dann ist sie in Teilzeit als Försterin an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWS)  in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, Waldpädagogik und Wissenstransfer. Bayernweit ist sie zudem als zertifizierte Waldpädagogin unterwegs, bildet aus und nimmt Prüfungen ab. Für Bayern ist die Fachfrau zudem die Koordinierungsstelle für das Zertifikat und nimmt bundesweit dafür Treffen wahr. Im Februar 2017 tritt Michaela Amann die Teilzeitstelle als Leiterin des Forstlichen Versuchsgartens an, aus dem sie einen „Welt.Erlebnis.Wald“ machen soll:

Sehr beliebt ist der Glaspavillon - nicht nur bei Regenwetter.

Sehr beliebt ist der Glaspavillon - nicht nur bei Regenwetter.

 

„Jedes Kind soll einmal in seinem Leben die Möglichkeit haben, einen Wald zu erkunden!“

 

Michaela Amann wählt ihre Worte ruhig und überlegt, wenn sie, in robuster Försterhose, Hemd und Weste, die langen Haare zu einem losen Zopf gebändigt, durch den Forstlichen Versuchsgarten führt: Ein außergewöhnlicher Wald mit einheimischen und fremdländischen Baumarten. Einst gepflanzt als Experiment, längst miteinander verwoben durch Wurzeln und Äste in der einzigartigen Symbiose einer multikulturellen Gemeinschaft, die von einander profitiert und vielleicht auch deshalb das Waldsterben überleben wird.

 

„Der Wald macht vor, was möglich ist“,

 

Im gesamten Wald sind hölzerne Skulpturen der Holzbildhauerschule München zu sehen: Figuren, Geister, Gegenstände, Wörter.

Im gesamten Wald sind hölzerne Skulpturen der Holzbildhauerschule München zu sehen: Figuren, Geister, Gegenstände, Wörter.

sagt die Försterin. Dass Michaela Amann damit auch die menschliche Gesellschaft meint, muss sie nicht erklären. Auch der Wald sei für alle da: Für Botaniker, für Mountainbiker, Gassigeher, für Leute, die nackt einen Baum umarmen oder sich daran aufhängen: Allem und jedem ist Michaela Amann in den vergangenen 20 Jahren schon begegnet.

 

Montag Heilpraktiker-Praxis, Dienstag Grafrath, Mittwoch Büro und Organisation in Freising sowie Vorlesungen in Weihenstephan, Donnerstag Grafrath, Freitag Praxis … Wenn sie morgens aufwacht, muss die Multitasking-Frau überlegen, welcher Tag heute ist, damit sie weiß, was sie anzieht: die robuste Försterkleidung oder das elegante Kleid? Ortswechsel sind kein Problem – sie ist ein Hermann Hesse Fan und hält es mit ihm, der schrieb:

 

„Heimat hast du in dir oder nirgends.“

 

Michaela Amann kann sich in Regensburg genauso zu Hause fühlen wie im Grafrather Wald oder sonst wo. Die Angst, ihre Familie und die beiden Kinder zu vernachlässigen, schwingt dennoch mit. Sie ist eine „Glucke“. Das Loslassen fällt ihr nicht leicht und sie bereitet sich darauf vor. Der Rhythmus, das Eingebundensein sind ihr Schutz. So, wie kleine Bäume den Schutz der großen brauchen. Ihre Kinder hätten ihre Mama immer berufstätig erlebt. Und wenn der Kleine früher schon mal fragte, warum sie weggeht, war er mit der Antwort stets zufrieden:

 

Drei Tage Forst mit Führungen, Planungen, Sichtungen, Schulungen, zwei Tage Heilpraktiker-Praxis mit durchgehend Patienten – über Monate hinweg sind ihre Termine ausgebucht – ein Tag Buchhaltung, Haushalt, Vorkochen für die Woche und natürlich auch …

Drei Tage Forst mit Führungen, Planungen, Sichtungen, Schulungen, zwei Tage Heilpraktiker-Praxis mit durchgehend Patienten – über Monate hinweg sind ihre Termine ausgebucht – ein Tag Buchhaltung, Haushalt, Vorkochen für die Woche und natürlich auch Familie – und trotzdem Zeit finden für ihre Hobbys: Tangotanzen und der Jazzclub Regensburg. Bücher, wie derzeit „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, hört sich Michaela Amann im Auto an. „Ich schau kaum Fernsehen – brauche aber meinen Schlaf, eher acht als sieben Stunden“, sagt sie und lacht.

„Ich gehe, damit ich wiederkommen kann.“

 

Nein, eine „Rabenmutter“ ist die sympathische wie herzliche Frau nicht. Der Kühlschrank ist stets gefüllt und die modernen Kommunikationsmittel machen es möglich, dass sie immer erreichbar ist. Als Heilpraktikerin hat sie auch viele Patientinnen, die depressiv sind. Weil sie sich nicht getraut haben, ihr Leben zu leben. „Ich zeige meinen Söhnen, dass sie sich trauen dürfen“, sagt sie, die mit ihrem Leben zufrieden ist, weil sie nichts verpasst.

 

„Es ist, wie es ist – und ich bin, wie ich bin.“

 

Michaela Amann findet es traurig, dass man Menschen wieder lehren muss, achtsam durch den Wald zu gehen. Dass sie eine Anleitung brauchen, zu sehen, zu fühlen, zu riechen und zu atmen. Und sie freut sich, wenn eben diese Menschen, die geduckt und mit hängenden Schultern durch das Tor kamen, aufrecht wieder hinausgehen. Weil ihr Blick nach oben gerichtet ist, ihre Lungen mit frischer Luft gefüllt und ihre Augen von Farben gesättigt sind. „Wenn der Wald weg ist, sind unsere Heilkräfte verloren“, sagt die Heilpraktikerin, die an die Selbstheilungskräfte der Natur glaubt und sich vielmehr um die Menschheit sorgt.

 

Denn die Erde bewege sich weiter, selbst wenn sich Klima, Vegetation und Bevölkerungen verändern. Um sich daran zu erinnern, trägt die Försterin auch im Wald Schmuck: leuchtende Steine um den Hals, an der Hand, an den Ohren. Ihre Vergangenheit lehren sie Dankbarkeit, sein zu dürfen.

 

„Ich kann nicht die Welt retten. Aber wenn ich Samen säen kann, habe ich viel erreicht.“

 

 

 

 

Der Forstliche Versuchsgarten – „Welt.Erlebnis.Wald“ in spe:

Gründung: 1881 durch Prof. Dr. Robert Hartig, Vorstand der botanischen Abteilung der Königlich Bayerischen Forstlichen Versuchsanstalt, um die Eignung fremdländischer Baumarten für die heimische Forstwirtschaft zu beurteilen.

Größe: 34 Hektar (340 000 Quadratmeter oder mehr als 46 Fußballfelder)

Baumbestand und Arten: Ursprünglich 200 Bäume aus Europa, Amerika und Asien, darunter Mammutbäume. Außerdem etwa 100 Baum- und Straucharten in Neuanpflanzungen und unzählige Nachkömmlinge: Schätzungen gehen von insgesamt 12 000 Bäumen aus.

Besonderheit: Zahlreiche Holzkunstwerke von Holzbildhauern der Berufsfachschule für Holzbildhauerei München zum Thema Natur und Mensch.

Aktuell wird der „Welt.Erlebnis.Wald“ zu einer Waldpädagogischen Bildungseinrichtung weiterentwickelt.

Informationen, Veranstaltungen und Führungen unter www.welterlebniswald.bayern.de  

 

 

 

 

 

 

 

Menschen im Landkreis

Boarisch und gschmackig

Boarisch und gschmackig