Der Koch und die andere Welt

Der Koch und die andere Welt

„Otto Koch hängt die Schürze an den Nagel und schenkt sich selbst zum Geburtstag den Ruhestand“. Vier Jahre ist die Schlagzeile in einer Fachzeitschrift alt. Doch der bekannte Sternekoch aus Gröbenzell ist heute vom Ruhestand so weit entfernt wie Dosenravioli von hausgemachtem Mandel-Amaretto-Soufflé. Nahezu jeden Tag ist der 70-Jährige zwischen dem Norden und dem Süden und dem Osten und dem Westen national und international unterwegs, stets im Dienste des Gaumens. Fünf Jahre nach der ersten Interview-Anfrage hat GUSTL ihn endlich in seiner Heimat „erwischt“!

 

Otto Koch, einer der großen Stars unter den Starköchen, fällt im Alltag nicht auf. Er ist der nette Typ von nebenan. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu dünn, nicht zu dick und mit einem Drei-Tage-Bart um den Mund, der warm lächelt und dabei seine Augen zu fröhlichen Schlitzen formt.  Frei von der Leber weg redet er und ist dann wieder etwas nachdenklich. In seiner Wohnung, im ersten Stock des Gewerbe-Wohnhauses in Gröbenzell, in der fetzige Musikclips aus den Bildschirmen im Wohnzimmer und der Profi-Küche tönen, finden sich denn auch einige weise Sprüche und ein Buddha-Kopf. Otto Koch, der mit Kreativität und Witz kocht und serviert („Essen soll Spaß machen“), hat Tiefgang. Und das nicht nur im Umgang mit Lebensmitteln.

 

Unzählig sind die Kochbücher in seiner Wohnung. Besonders interessieren Otto Koch die historischen Bände, die zum Teil schon aus dem 18. Jahrhundert stammen. Viele Ideen für seine Rezepte findet er hier. Sein Leitspruch: Mit einem guten Produkt und …

Unzählig sind die Kochbücher in seiner Wohnung. Besonders interessieren Otto Koch die historischen Bände, die zum Teil schon aus dem 18. Jahrhundert stammen. Viele Ideen für seine Rezepte findet er hier. Sein Leitspruch: Mit einem guten Produkt und wenig Aufwand etwas geschmacklich und optisch machen, dass die Leute „Uih“ sagen.

So viel und so oft der „Rentner“ unterwegs war und ist: Er kommt gern und so oft wie möglich nach Hause, wo er aufgewachsen ist. Dann findet er zuweilen sogar Zeit, sich auf seinen Balkon zu setzen und auf seinen großen Garten zu blicken, an dessen Ende eine außergewöhnliche Hütte steht. Dreieckig wie ein Zelt und mit gehörntem Tierschädel über dem Eingang. Otto Koch schmunzelt. Mit etwa 13 Jahren hatte er seinen Vater angebettelt, im Kino einen Winnetou-Film ansehen zu dürfen. „Das machen wir selbst“, hatte der nur gesagt und jedes Wochenende mit seinen drei eigenen und zwei Dutzend weiteren Kindern aus Gröbenzell Kulissen gebaut, Kostüme geschneidert und über die Jahre hinweg drei Indianerfilme abgedreht. „Eine extrem lehrreiche Zeit“, sagt Otto Koch stolz. Die Hütte ist geblieben und auch die Filme sind noch da. Erst in diesem Jahr hat sein eigener Sohn Philipp, ein bekannter deutscher Regisseur, sie digitalisiert. 

 

Nur 300 Meter von seinem Elternhaus ist Otto Koch geboren. Im Haus seiner Großeltern, die einmal Anfang der 1930er-Jahre aus politisch-ethischen Gründen in den brasilianischen Urwald gezogen waren. Dort betrieb der Elektroingenieur eine kleine Farm. Als seine Frau erkrankte, kehrte die Familie zur Behandlung nach Deutschland zurück. Kaum angekommen, wurde der Sohn eingezogen. Als im Regiment ein Koch gesucht wurde, meldete er sich. „Das hat meinem Vater das Leben gerettet“, vermutet Otto Koch.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gefangenschaft pachtet der Vater das Grundstück unweit der Eltern und macht in München eine Lehre zum Dachdecker und Spengler. „Jeden Tag schleppte er im Rucksack Baumaterial für das Haus nach Gröbenzell“, erzählt Otto Koch. Seine Mutter betreibt hier zunächst ein Milchgeschäft, aus dem ein Feinkostladen wurde. Einfach und gut wird im Hause Koch gekocht, die „Vielfalt“ im elterlichen Laden macht den Erstgeborenen neugierig.

 

Otto Koch isst alles gern, wenn es gut gemacht ist. Dazu kann auch eine gescheite Leberkässemmel gehören. Allerdings, gibt er zu, habe er lange gebraucht, bis er Austern aß – und noch ein bisschen länger, bis sie ihm schmeckten! Industriell gefertig…

Otto Koch isst alles gern, wenn es gut gemacht ist. Dazu kann auch eine gescheite Leberkässemmel gehören. Allerdings, gibt er zu, habe er lange gebraucht, bis er Austern aß – und noch ein bisschen länger, bis sie ihm schmeckten! Industriell gefertigte Produkte, bei denen die Liste der chemischen Zusätze länger ist, als die natürlichen Bestandteile, lehnt er ab. „Da esse ich lieber gar nichts“.

Das Interesse für das Psychologie-Studium vergaß Otto Koch nie. Seit fast 20 Jahren betreibt er eine eigene Schule (Ecole Culinaire). Hier werden Führungskräfte von Hotel und Gastronomie geschult im Führen, Motivieren, in Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Er selbst lernt derzeit Spanisch. „Um das Hirn frisch zu halten.“

Das Hauptinteresse von Otto Koch sind jedoch die Psychologie, Führungstechniken und Kommunikation. In den U.S.A. will er studieren. Lediglich um sich das Studium zu finanzieren macht er Ende der 1960er-Jahre eine Lehre zum Koch im ehemaligen Regina Palast Hotel in München – „Easy“, sagt er und lacht. Die Einreise ist jedenfalls genehmigt, Studienplatz, Flug und Unterkunft sind organisiert. Doch wegen des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens der Kriegsdienstverweigerung wird ihm die Ausreise verweigert. Otto Koch beschließt für zwei Monate als Aushilfe in die Schweiz zu gehen, um von hier ausreisen zu dürfen. Als das auch nicht funktioniert, bietet ihm sein Arbeitgeber an, einen Anwalt zu bezahlen, wenn er ein Jahr bei ihm bliebe. Trotz Bedenken lässt sich Otto Koch auf den Deal ein. Das Verfahren wird eingestellt und zur „Feier des Tages“ lädt ihn der Chef in das 3-Sterne-Restaurant von Paul Haeberlin, die Auberge de l`Ill im Elsass ein.

 

„Ich war geplättet“, sagt Otto Koch mit Blick gen Himmel. Und dann beschreibt er detailliert die Speisefolgen – vom ganzen, schwarzen Trüffel mit Gänseleber in Blätterteig bis hin zum Pfirsich Haeberlin. „Das war eine ganz andere Welt.“ Otto Koch taucht begeistert darin ein und trifft auf viele Förderer. Nach einem Jahr in Basel wird er von einem Küchenchef in St. Moritz eingeladen, 14 Tage lang mit Stars der Gourmetszene zu arbeiten. Dort trifft er die „Größten“ ihrer Zeit und kocht  später in den besten Küchen, vor allem in der Schweiz und in Frankreich. 1974 wagt er sich in München in die Selbständigkeit. „Mei Küch“ heißt sein Restaurant, in dem er gehobene bayerische Küche anbietet. Otto Koch verzieht das Gesicht. Denn die Plätze bleiben leer. Seine Passion für Regionalität und Bayern wird nicht verstanden. Erst, als der bekannte Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck begeistert über Kochs Kutteln schreibt, er sein Lokal in „Le Gourmet“ umtauft und die Preise erhöht, kommen die Gäste. Ein Jahr später prangt der erste Stern an seiner Tür! Otto Koch lacht. „Dabei standen auf der Speisekarte genau die gleichen Gerichte wie vorher!“ Nur in Französisch!

 

Seine Anfangszeit gleicht einer Revolution. Mit Eckart Witzigmann geht der ambitionierte Speisekünstler auf Reisen und kauft in den Hallen von Paris Zutaten, die in seiner Heimat bis dato unbekannt sind: Milchlamm, Doraden, Loup de mer, Schnepfe. Aber auch Rucola oder Gänseleber kannte damals niemand. Und er sucht und gewinnt heimische Landwirte für die Aufzucht und zum Produzieren von hochwertigerem Fleisch und Gemüse. Zeitschriften, Gourmetmagazine, große Tageszeitungen berichten über den Pionier, Kochsendungen folgen: allein 29 Staffeln mit Christiane Herzog: „Nach jeder hatte ich ein neues graues Haar“, sagt Otto Koch und erklärt. „Sie plante nie im Voraus, aber alles musste da sein.“ Seit 21 Jahren und über 850 Sendungen ist er stest mit einem Rezept im ARD-Buffet.

 

Auch für den Deutschen Wein ist Otto Koch tätig. „Bis in die 1970er-Jahre waren die viel zu süß zum Essen.“ Er überzeugt ein paar Winzer, Weine zu produzieren, die zu den Speisen passen – und nicht umgekehrt. Bereits Anfang der 1980er-Jahre setzt er sich zudem intensiv mit der Tierhaltung auseinander. Otto Koch besucht weltweit Zucht-Betriebe und verfolgt die Schlachtung bis zur Verwertung: Massentierhaltung schmeckt ihm da längst nicht mehr – das „Woher“ und das „Wie“ werden zu seinen höchsten Gewissens- und Geschmacksfragen. Anfang des Jahres 2002 eröffnete er das erste Restaurant mit Bio-Zertifizierung – „Das ist kein PR-Gag“, stellt Otto Koch unmissverständlich fest, der einfach nur Qualität mit Inhalt kommunizieren will.

 

Selbst baut Otto Koch in seinem riesigen Garten nichts an: Auf dem Balkon wachsen allenfalls ein paar Tomaten. Ein großer Olivenbaum auf dem Balkon trägt Früchte. „Ich bin zu viel unterwegs“, seufzt der Koch, der früher jedes Jahr in ein Kloster zum Meditationsfasten fuhr. Hat gut getan. „Aber das kostet zu viel Zeit und Zeit ist Mangelware“, sagt er und greift ans erneut klingelnde Telefon. Ein Caterer ist dran, fast 500 Kilometer entfernt. Es geht um die Vorbereitung des Fleisches, das Koch am nächsten Tag in Kassel bei einem Event servieren will. Gestern Hamburg, heute München, morgen Kassel ... Ach ja, die Rente! Otto Koch bekommt bei der Erwähnung schon Gänsehaut. „Kochen ist für mich keine Arbeit“, sagt er und lacht.

 

Still schaut er sich dann in seiner Wohnung um. Streicht über die Zither, auf der sein Vater spielte. Betrachtet die gerahmten Schwarzweiß-Bilder seiner Kindheit in dem hüttenähnlichen Esszimmer: Das Haus des Großvaters, Szenen der Dreharbeiten. Dazu Fotos seiner Kinder und der Enkelinnen. Mittendrin ist eine Abbildung der Schule für schwerbehinderte Kinder in Havanna, die er seit Jahren unterstützt. Erst vor einiger Zeit hat er sie mit einer Küche ausgestattet. Dann streifen seine Augen über die Pokale und Auszeichnungen auf dem Fensterbrett und zu den deckenhohen Regalen, die gefüllt sind mit aktuellen und historischen Kochbüchern und seinen eigenen – „Eine Sammlung aus meinem Leben“, nennt Otto Koch sie. Sein Blick geht weiter zu den großen Fotografien. Aufnahmen mit Paul Bocuse, Eckard Witzigmann und Heinz Winkler, die über einer aufgesattelten alte Holztruhe hängen: Otto Koch, der auch Golf spielt und in zwei Schützenvereinen aktiv ist („reines Meditationstraining“), ist passionierter Westernreiter.

 

„We are all here for special reasons. Stop being the prisoner of your past, become the architect of your future” – (Wir sind aus einem besonderen Grund hier. Hört auf, der Gefangene eurer Vergangenheit zu sein. Werdet der Architekt eurer Zukunft) steht auf einer Fahne, die zwischen Ess- und Wohnzimmer weht. Otto Koch nickt. „Und wenn ich auf mein Leben zurückschaue, stelle ich fest, dass es gar nicht so schlecht war.“

 

 

Vita:

1949: geboren in Gröbenzell

1968 bis 1973 (nach seiner Ausbildung in München): Arbeit in diversen Spitzenhäusern in der Schweiz und Frankreich.

1974: Eröffnung des ersten eigenen Restaurants „Mei Küch“ bzw. „Le Gourmet“ in München

1976: Erster Michelin-Stern

1990: Umzug des Restaurants in das Haus Schwarzwälder

1996: regelmäßig Mitwirkender in Christiane Herzogs Fernsehsendung zu Kochthemen.

Ab 1996: Berater im F&B-Bereich (Essen und Getränke)

Seit 1998: Fernsehkoch im ARD-Buffet

2001: Gründung der Kochschule „Ecole Culinaire“ mit Thomas Ullrich und dem Catering-Unternehmen Sodexo – bis heute Seminartätigkeit zur Weiterbildung von Fachleuten

2001 bis 2009: Leiter des „KochArt“ in Zürs am Arlberg und Auszeichnung mit dem Michelin-Stern

Seit 2003: Berater des Managements des Service Bund in Deutschland

2009 bis 2014: Patron des von Arena One betriebenen Restaurants „181“ im Olympiaturm in München (weiterer Michelin-Stern)

1996 bis 2016: Gourmet Chef und kulinarischer Berater bei Robinson.

Auszeichnungen: (u.a.) Ehrenurkunde für besondere Verdienste um die Kochkunst in Deutschland, 2005 Ehren-Oscar, Auszeichnung für herausragende kulinarische Leistungen bei Robinson.

 

Fotos: Simon Katzer; Text: Petra Neumaier

 

 

 

 

 

 

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