Entrümpeln 3.0

Entrümpeln 3.0

Ist Ihnen aufgefallen, dass das Jahr 2017 ohne neue Mode-Diät angefangen hat? Ein Verleger verriet mir: Die Leute haben das Gehunger satt. Stattdessen lassen sie ihre Wohnung die Pfunde verlieren. Low-Stapel statt Low-Carb, Mülltrennung statt Trennkost, weg-damit statt vegan. Auf der inoffiziellen Hitparade der guten Vorsätze stand dieses Neujahr auf Platz Eins: Entrümpeln. Die britische Feng-Shui-Expertin Karen Kingston hat es schon vor vielen Jahren gewusst: Abnehmen beginnt mit dem Entschlacken der eigenen Behausung. In einer vollgestopften Wohnung stopft man sich voll, in lichtdurchfluteten weiten Zimmern nicht.

Ein Trend, der für mich ein warmer Regen war. Das ZDF holte mich als simplify-Experte ins Morgenmagazin, ich durfte auf dem Roten Sofa des NDR sitzen (und einen daneben kunstvollaufgebauten Chaos-Schreibtisch begutachten), im BR-Notizbuch eine Stunde lang Aufräumfragen der Hörer beantworten, Einladungen aus der ganzen Republik trudelten ein – und das Ergebnis? Die komplett modernisierte Neuauflage von simplify your life kam wieder in die Bestsellerliste! Aber, ätsch, auf meinem eigenen Schreibtisch türmte sich die Materie.

Typisch: Ärztekinder husten, Metzgers Tochter lebt vegetarisch, und beim Wegschmeißexperten staut sich das Glump. Also Ärmel hoch und raus mit dem Schmarrn! Aufden Wertstoffhöfen grüßte man mich bald wie einen alten Bekannten, der famose Gröbenzeller Weltrekordbücherflohmarkt wurde großzügig eingedeckt. Oh mei, Entrümpeln ist ein riesigesProjekt, längst noch nicht abgeschlossen. Unfassbar, was sich so alles ansammelt. Und wie viel Zeit das Aussortieren und Entsorgen kostet! Aber was für ein herrliches Gefühl, wenn ein Schrankfach gähnend leer ist.

Ich liebe es, wenn ich in einem Kellerraum den Fußboden freigeräumt habe. „Das Chi kannwieder fließen“, sagen die Chinesen dazu. Doch die Buchstaben des geheimnisvollen Wortes ordne ich lieber um und freue mich, dass ich endlich wieder überall hinkomme (Architekten nennen das „Erschließung“). Oder ich mache die Schublade auf und bin froh, den Inhalt wiederzu kennen. Mein Lieblingstrick: offene Schachteln und Sortierboxen aus dem Baumarkt hineinstellen, damit das Erdbeben beim Öffnen nicht alle Fitzelteile durcheinanderwirbelt.

Bei allem Entrümpelungsspaß durchzuckt mich allerdings stets der hässliche Gedanke: Wielange wird das wohl so aufgeräumt bleiben? Es müsste ein Gerät geben, mit dem sich dieAnschaffung von neuem Tinnef verhindern lässt. Vielleicht stellen immer mehr Menschen deswegen kleine Buddhastatuen in ihrer Wohnung auf. Fürchten sie Siddhartas strafendenBlick, wenn sie Unsinn shoppen oder Utensilien am falschen Ort ablegen und damit seine Zen-Ruhe stören?

Der Verkäufer im Baumarkt wusste nichts von solchen magischen Wirkungen der niedlichen Betonbuddhas in der Gartenabteilung. Aber an irgendwas muss es ja liegen, dass diefernöstliche Grinsebacke als Nachfolger des deutschen Gartenzwergs gilt. Warum gibt es daseigentlich nicht in christlich?, dachte ich mir und wünsche mir hiermit von der einschlägigen Industrie einen kreuzförmigen Anhänger, der mich an den Sonderverkaufskörben von Lidl, Aldi & Co. warnend anpiepst: „Kauf keinen Kram, den du bei der nächsten Tempelreinigung doch wieder wegwirfst!“

Mein Platz - Ein Theater für alle

Mein Platz - Ein Theater für alle

Überfliegerin im Landeanflug

Überfliegerin im Landeanflug