Überfliegerin im Landeanflug

Überfliegerin im Landeanflug

Kein Franz Josef Strauß und noch nicht einmal ein Horst Seehofer hängen an der Wand. Stattdessen, aus ihrem Privatfundus: Landschaftsgemälde. Auf dem Bild ist eine nachdenklich blickende Frau im Sessel zu sehen. Wer das ist und von wem es ist, weiß Gerda Hasselfeldt nicht. Aber ja, auch sie kann manchmal so gedankenverloren dasitzen. „Vielleicht hat mir deshalb das Bild gefallen“, lacht sie. Vielleicht ist es auch Zufall, dass das Bild an der Stirnseite des langen Konferenztisches hängt, als wäre es ein Symbol dafür, dass hier, im Wahlkreisbüro der CSU, eine Frau das Sagen hat. Wenn die leidenschaftliche Politikerin im Herbst nach 30 Jahren Bundes- und Landespolitik nicht mehr als Abgeordnete des WahlkreisesFürstenfeldbruck / Dachau antritt, wird sie die Bilder mitnehmen. Und dabei mehr als eine Lücke an der Wand hinterlassen.

Die Bescheidenheit, die Gerda Hasselfeldt ausstrahlt, spiegelt sich in der Geschäftsstelle in Fürstenfeldbruck wider. Überraschend schlicht ist sie eingerichtet, vom Design her sogar ziemlich aus der Mode gekommen. Und obwohl die Politikerin selbst stets auffällig schick undmöglichst in bunten Farben gekleidet ist, drückt ihr Büro eine Normalität aus, die sie persönlich lebt und den Bürgern nah macht. Auf Limousinen, Chauffeure oder rote Teppiche legte die Niederbayerin nie wert. Darum fiel es ihr nicht schwer, loszulassen; als sie 1991 ausgesundheitlichen Gründen ihr Amt als Gesundheitsministerin aufgab. Und auch jetzt lässt sie ihre Arbeit, ihren Status so selbstverständlich ziehen, wie man einen Mantel ablegt, bevor er anfängt, Löcher zu bekommen.

Man muss das ganz rational betrachten,

sagt Gerda Hasselfeldt, die sich schon vor langer Zeit vornahm, 2017 nicht mehr als Bundestagsabgeordnete zu kandidieren. Ihr Lebensweg beginnt als zweites von sechs Kindern. Im kleinen Haibach in Niederbayern (Landkreis Regen) wächst Gerda Hasselfeldt auf. Die Eltern betreiben einen Gasthof mit Metzgerei. Der Vater ist zudem ehrenamtlicher Bürgermeister, Landtagsabgeordneter und später Bundestagsabgeordneter.

In unseren Augen war mein Vater fast immer öffentlich unterwegs,

erzählt Gerda Hasselfeldt. Dass der Vater auch noch spät am Abend, wenn er aus Bonn kam,  sich zu den Gästen in die Gaststube hockt und ihnen zuhörte, weil man wissen müsse, „was die Leute bewegt“, fasziniert sie schon als kleines Kind.

Im Wirtshaus wurde ich sozusagen sozialisiert,

lacht Gerda Hasselfeldt, die voller Stolz und Respekt über ihre Eltern erzählt. Auch von derMutter, die zwar den Eindruck erweckt, als wäre der Vater das Familienoberhaupt, aberletztendlich trifft sie die Entscheidungen. Sie ist die Starke nach innen. Ihr Mann wirkt nach außen. Ob Gerda Hasselfeldt später beweisen will, dass sie beides kann, als Frau und Mutter auch ihren „Mann“ als Politikerin zu stehen, kann sie nicht sagen. Es hat sich so ergeben.

Eine Feministin war ich jedenfalls nie.

Vielmehr beschreibt sie sich als ernstes und pf lichtbewusstes Mädchen. Eines, das ein wenigim Schatten ihrer älteren Schwester steht, weil ihr in der Schule „alles zuf ällt“. GerdaHasselfeldt ist keine „Überf liegerin“. Im Mädchengymnasium in Straubing wird sie zu ihrer eigenen Überraschung Klassensprecherin, in der 10. Klasse sogar Schulsprecherin.

WENN ICH ETWAS MACHE, WILL ICH ES GUT MACHEN,

ist schon damals ihr Ehrgeiz, den sie auch politisch umsetzt. Bereits mit 18 Jahren wird GerdaHasselfeldt „aktiv“. Als junge Kreisrätin setzt sie mit ihren Kollegen ein Jugendzentrum durch.  Ein Schlüsselerlebnis, an das sie sich heute noch mit glänzenden Augen erinnert. Das Gefühl,  dass es sich lohnt, sich einzusetzen, lässt sie nicht mehr los.

Politik ist fast wie eine Droge,

beschreibt Gerda Hasselfeldt. Zwar arbeitet die junge Mutter zweier Kinder nach ihremVolkswirtschaftsstudium noch einige Jahre in Vollzeit als Leiterin der Berufsberatung imArbeitsamt Deggendorf und München. Als sie 1986 für den Landtag und ein Jahr darauf für den Bundestag auf der Liste kandidiert, fallen endgültig die politischen Würfel, denn:

Was die können, kann ich auch.

1987 rückt Gerda Hasselfeldt für Franz Josef Strauß in den Bundestag. Das Organisatorische war da schon mit der Familie abgesprochen. Ihr Mann, ein Lehrer, der sie mit ihrer „Schwäche für Politik“ geheiratet hatte, kümmert sich um die gemeinsamen Kinder. Die Arbeitsaufteilung empfindet sie, im Gegensatz zu vielen Menschen in ihrem Umfeld, als ganz normal.

Besser so,  als wenn die Kinder eine unzufriedene Mutter daheim hätten!

Leicht fällt es Gerda Hasselfeldt dennoch nicht immer. Die Tochter ist vier, der Sohn zehn Jahre, als sie das Bundestagsmandat annimmt. Die Kleinen während der ganzen Woche nicht zusehen ... da gab es schon Momente, in denen auch bei ihr die Tränen liefen und sie sich fragte,  ob sie alles richtig macht.

Trotzdem dachte ich nie daran, mit der Politik aufzuhören.

Denn das zur damaligen Zeit außergewöhnliche Familienmodell funktioniert. Weil auch Gerda Hasselfeldt in der Zeit, in der sie zu Hause ist, sich intensiv mit den Kindern beschäftigt. Weildie Entscheidung, als Wahlkreisabgeordnete für Fürstenfeldbruck / Dachau zu kandidieren und von Regen nach Eichenau umzuziehen, eine gemeinsame Entscheidung ist. Und es funktioniert sogar noch, als sich das Ehepaar scheiden lässt. Offenheit. Ehrlichkeit. Respekt: Diese drei wichtigen Grundpfeiler, mit denen sie auch in der Politik so manche Hürde nimmt, helfen ihr auch im Privatleben. Gemeinsam mit den Kindern wird die dennoch für alle schmerzliche Trennung besprochen. Freundschaftlich gehen sie auseinander, ohne, dass die Beziehung der Kinder zu den Elternteilen leidet.

Wir haben das gut hingekriegt,

sagt Gerda Hasselfeldt so selbstverständlich, als wäre es nichts, worüber man stolz sein müsse. Weil es möglich ist. Wenn man zuhört, ref lektiert und fremde Argumente genauso ernst wie seine eigenen nimmt. Das lebt die Politikerin privat wie politisch, egal in welcher Position oder Funktion sie auch auftritt. Ihre Standpunkte sind klar, aber nicht starr. Ihre Meinung kann sie ändern, aber dann nur mit einer guten Begründung. Getuschel hinterm Rücken ist ihr schon seit Kindertagen zuwider.

Ich spiele mit offenem Visier.

Das hilft ihr auch in der schwierigen Anfangszeit, als sie die untereinander zerstrittenenCSU-Kollegen wieder zusammenführt. Gerda Hasselfeldt spürt sofort, dass es hier ein anderes politisches Arbeiten im Landkreis ist als in ihrer Heimat. Sie merkt, dass die Menschen andereBedürfnisse haben als im Bayerischen Wald. Die hohe Fluktuation, die Nähe der Landeshauptstadt, die Größe der Ortschaften, die anderen Ansprüche an das Leben. Gerda Hasselfeldt stimmt sich darauf ein und nimmt die Herausforderung an.

Ich wurde sehr aufgeschlossen aufgenommen,

resümiert die selbst aufgeschlossene Gerda Hasselfeldt, die lediglich anfangs mit derräumlichen Orientierung im Landkreis richtig zu kämpfen hatte. Die ähnlichen Straßenbilder –  vor allem in den S-Bahn-Gemeinden – machen ihr zu schaffen. Auch an die Landschaft, ohne die dicht bewaldeten Berge, muss sie sich erst gewöhnen.

Die interessanten Flecken habe ich alle gesehen,

sagt Gerda Hasselfeldt und meint damit vor allem die kulturellen Besonderheiten der beidenLandkreise. Dass bei der großen Terminf lut, die sie auch als Vizepräsidentin des Bundestages und Vorsitzende der CSU-Landesgruppe zu bewältigen hat, die landschaftlichen Reize zu kurz kamen, bedauert sie. Vor allem die Fahrradstrecken will die Politikerin, die mit ihrem zweiten Ehemann in München und Haibach lebt, noch abfahren. Sorge, dass es ihr langweilig wird, hatsie keine. „Ich freue mich, dann mehr Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen zu können. Außerdem warten zu Hause jede Menge Aufgaben.“

Ich glaube nicht, dass ich in ein Loch falle,

ist sie sicher. Wandern, ins Theater gehen ... Auch reisen schließt Gerda Hasselfeldt nicht aus.  Wobei sie nicht das Gefühl hat, dass sie noch viele Teile der Welt anschauen muss. Weil man, wie sie ganz nüchtern feststellt, keinen besseren Tod sterbe, wenn man nicht in Australien war.

Es muss im Leben nicht alles perfekt sein,

sagt heute die Frau, die es trotzdem immer versucht hat. Auf die Frage, ob es denn nichtsgeben würde, was sie gerne anders gemacht hätte, muss sie eine Weile überlegen. „Auch, wennein Leben noch gar nicht zu Ende ist, empfinde ich nur Dankbarkeit. Sogar für die Brüche. Rückwirkend betrachtet waren das lehrreiche Episoden. Denn wenn alles ganz glatt gelaufen wäre, hätte ich heute vielleicht nicht die Gelassenheit und Entschlossenheit, Dinge zu machen, die nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen. Schwierige Situationen machen reifer und erfahrener. Vielleicht wäre mein Leben leichter gewesen, wenn ich nicht soperfektionistisch gewesen wäre. Andererseits stört mich das auch nicht.

STECKBRIEF

Geboren 7. Juli 1950 in Straubing (Niederbayern) // katholisch //

seit 1969 Mitglied der CSU // verheiratet // zwei Kinder

ÄMTERREICH DAS POLITISCHE LEBEN DER GERDA HASSELFELDT

1969 Abitur, anschließend Studium der Volkswirtschaftslehre in München und Regensburg // 1975 Diplomprüfung // 1975 bis 1987 Mitarbeiterin bei der Bundesanstalt für Arbeit, zuletzt Leiterin der Abteilung Berufsberatung im Arbeitsamt Deggendorf // 1978 bis 1989 Kreisrätin im Kreis Regen // seit 1987 Mitglied des Deutschen Bundestages // 1989 bis 1991 Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau // 1991 bis 1992 Bundesministerin für Gesundheit // 1991 bis 1995 Landesvorsitzende der Frauen-Union // 1995 bis 2002 Finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion // 1995 bis 2005 Kreisvorsitzende der CSU Fürstenfeldbruck // 1996 bis 2004 Kreisrätin im Kreis Fürstenfeldbruck // 2002 bis 2005 Stellv. Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion // 2005 bis 2011 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages // 2006 bis 2007 Mitglied der CSU-Grundsatzkommission // seit 2009 Mitglied imCSU-Parteivorstand // seit 2011 Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Erste Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Entrümpeln 3.0

Entrümpeln 3.0

Wie im Garten Eden

Wie im Garten Eden