(E)SELIG

(E)SELIG

 

Fotos Corinna Eichberger-Renneisen – Text Ricarda Traub

 

Sanft stupst Zilly mit ihrer Schnauze an den Oberschenkel und reibt ihren Kopf an der Hose. „Streichel mich!“, sagt sie. Ganz ohne Worte. Ein wenig Stolz stellt sich ein, als das Tier plötzlich seine Zuneigung und sein Vertrauen zeigt. „Esel möchten berührt werden, aber sie entscheiden, wann“, sagt Uli Jonas. Wenn sie von ihren Eseln erzählt, strahlen ihre Augen. „Die Tiere sind mein Leben“, sagt die Heilpraktikerin aus Prack bei Rottbach, die geführte Wanderungen anbietet. GUSTL-Mitarbeiterin Ricarda Traub war dabei.

 

Behutsam streicht die Hand jetzt über das weiche, dunkle Fell. Dass Zilly das Streicheln und Kraulen an Hals und Ohren genießt, zeigen ihr entspannter Gesichtsausdruck und die hängende Unterlippe. Und auch bei mir selbst stellt sich Gelassenheit ein, die sich bei der späteren Wanderung mit den Tieren weiter ausbreiten wird.

 

Zilly, Michl und Sophie heißen die drei Kleinesel, mit denen Uli Jonas geführte Wanderungen anbietet. Für Gruppen, Einzelpersonen und – mit Pferd Orka – auch für therapeutisches Reiten: Menschen mit Depressionen, Burnout, Ängsten oder psychosomatischen Problemen suchen gerne auch die friedlichen Wesen als Wegbegleiter auf. Aber letztendlich spielt ein mögliches Krankheitsbild keine Rolle. „Die Tiere denken nicht in Diagnosen, aber sie spüren ganz genau, was dem Menschen, egal ob Kind oder Erwachsener, hilft“, weiß die 55-Jährige.

 

Nach den ausgiebigen Streicheleinheiten wird das Halfter angelegt und der Spaziergang beginnt. Rund um das Gehöft winden sich Schotterwege über Felder und in den Wald, auf den unsere Kleingruppe nun auch schnurstracks zusteuert. Also fast. Denn ständig entscheidet sich Zilly spontan fürs Grasen. Oder Michl bleibt einfach stehen. Oder Sophie möchte partout in die andere Richtung. Erst verwirrt, dann genervt („jetzt geh` endlich weiter!“) wirbelt es nur so im Kopf. Die Zwischenstopps passen mir nicht, schließlich bin ich es doch, die die Zügel in der Hand hält. „Die Tiere spiegeln den Menschen in seinen Verhaltensweisen wider und er merkt, wo er bei sich ansetzen kann“, erklärt Uli Jonas nachsichtig. Aha! Das heißt dann wohl: Mich in Geduld üben. Gelassen bleiben. Abwarten. Nichts erzwingen wollen. Und siehe da: Zilly geht weiter.

 

Uli Jonas ist es sehr wichtig, dass ihre Esel ein ruhiges, gutes und entspanntes Dasein haben. Darum achtet sie auf viele Pausen und sowieso auf eine artgerechte Haltung.

Dass die Tiere auf den Menschen eine besondere Wirkung haben, erlebt die Heilpraktikerin immer. Sie erinnert sich zum Beispiel an einen Patienten mit Burn-Out. Während einer Stunde mit Isländerstute Orka blieb diese plötzlich stehen und schlief für eine kurze Zeit tief und fest. Der Mann war dadurch gezwungen, stehenzubleiben und zu warten. Eben, eine Pause zu machen. „Die Tiere geben einen Impuls, einen Hinweis oder eine Idee. Und oft kann man diese Idee viel besser annehmen, als wenn ein Mensch einem etwas Ähnliches gesagt hätte. Die Tiere sind eben meist einfühlsamer“, sagt Uli Jonas. So hatte etwa Orka für ein kleines Mädchen den Einfall, so lange in einer Pfütze herumzuplanschen, bis das Wasser hoch zu der Reiterin spritzte und das Mädchen daraufhin in ein fröhliches Lachen ausbrach – das erste Mal seit dem Tod ihres Vaters. „Bei der tiergestützten Therapie geht es gar nicht so sehr ums Sprechen, sondern viel mehr ums Fühlen und miteinander sein“, erläutert die Therapeutin. 

 

Auch unseren Spaziergang verbringen wir eher schweigend. Jeder ist auf sich und den Esel konzentriert. Ein laues Lüftchen weht durch Haar und Mähne, die Hufe klappern, den Mund umspielt ein entspanntes Lächeln. Fehlt nur noch das typische „I-A“ der Vierbeiner. Leider bleibt das aus. Wer es noch nie gehört hat, denkt sich ein quietschendes Gartentürchen, das dringend geölt werden muss.

 

Nach etwa eineinhalb Stunden kündigt Uli Jonas den Rückweg an. Was? Schon vorbei? Wie schade. Der Streifzug macht Spaß und entschleunigt. Und ja, manchmal ist es ein wenig mühsam und anstrengend, wenn der Esel nicht weitergeht und es zu lange dauert. Aber er ist gleichsam eben auch ein ganz wunderbarer Lehrer, der verdeutlicht: Mach langsam. Sei im Moment. Entspann dich.

 

„Wofür möchtest du dem Esel danken?“, fragt die Heilpraktikerin, als wir schließlich wieder an der Koppel ankommen. Jeder geht nochmals leise und für sich ins Zwiegespräch mit seinem Gefährten auf Zeit, bevor wir beseelt und gelöst aus der kleinen Seifenblase in den Alltag zurückkehren. „Esel sind die besten Wegbegleiter“, ruft uns Uli Jonas noch hinterher.

 

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