Das Gras ist woanders immer grüner
Die Deutschen mögen ihr Land nicht mehr. Es besteht nur noch aus Zugverspätungen, Demokratiegegnern, Inflation und Regierungschaos. Woanders muss es besser sein! Also auf ins Traumland Australien, wo unser Sohn mit Familie lebt. Wir haben ihn besucht.
Das Land ist wunderschön, die Natur reichlich, das Wetter warm und abwechslungsreich. Die Australier sind superfreundliche, relaxte Zeitgenossen. Wenn da nicht die Details wären:
Melbourne hat knapp fünf Millionen Einwohner, die luxuriös Platz haben: pro Quadratkilometer 520 Einwohner (Gröbenzell: 3100). Das klingt entspannt, aber die Flächenstadt besteht aus endlosen Straßen und weiten Wegen. U-Bahn gibt es keine, das S-Bahn-artige Netz der Metro mit rumpeligen Zügen und sehr unzuverlässigem Fahrplan nutzen täglich 400 000 Menschen (in München sind es 900 000, bei halb so vielen Bewohnern im Einzugsbereich). Die südlichste Millionenstadt der Welt hat zwar das weltgrößte Straßenbahnnetz, aber wer keinen Bock auf die langsame und laute Tram hat, nimmt das Auto. Typische Google-Maps-Prognose für eine Fahrt in die Innenstadt: 26 km, 60 Minuten.
Weil Melbourne wie München ständigen Zuzug hat, steigen die Preise für Mieten und Hauskauf ins Absurde. Ein Familiendomizil ist für unter umgerechnet 1,2 Millionen Euro kaum zu haben. Dafür bekommt man ein kleines Haus aus Holz und Pressspanplatten, kaum isoliert, einfachen Schiebefenstern und Blechdach. Der Garten besteht in der Regel aus einem umlaufenden Streifen (meist als Abstellfläche benutzt) und einer Terrasse. Photovoltaik ist in dem Land mit 3000 Sonnenstunden (FFB: 1100) extrem selten, auch im Hochsommer heizen Gasboiler an der Außenwand das Warmwasser.
Die Straßen in den Wohngebieten sind paradiesisch, mit Bäumen und Grünstreifen. Der Blick in den Himmel aber ist zugehängt mit Wildwest-Versorgungsleitungen, die sich ohne System harfenartig von schiefen Holzmasten in die flachen Häuser spannen.
Ein Kindergartenplatz kostet um die 70 Euro – pro Tag! Auch die staatlichen Schulen erheben Gebühren, 3000 bis 8000 Euro pro Jahr. Privatschulen starten bei 30 000 Euro Jahresgebühr. Es gibt zwar staatliche Erstattungen, die unserem Kindergeld ähneln, aber sehr bürokratisch vergeben werden.
Also Testurteil „mangelhaft“? Keineswegs! Unser Sohn lebt dort hochzufrieden seit über 15 Jahren. Meine Erkenntnis ist eine andere: Jedes Land hat Macken, bei denen man sich als Besucher an den Kopf fasst. An vieles davon haben sich die Einheimischen gewöhnt. Der Kabelverhau über den Straßen fällt keinem Aussie mehr auf, gegen die Kita- und Schulgebühren gibt es keinerlei Protest. Aber wir, wir sind gern in unseren prachtvoll funktionierenden Landkreis zurückgekommen. Sogar die Autos fahren auf der richtigen Seite.
Werner Tiki Küstenmacher, 70 Jahre alt, evangelischer Pfarrer im Ehrenamt, Karikaturist und Buchautor. Lebt mit seiner Frau, der Autorin Marion Küstenmacher, in Gröbenzell. Die beiden haben drei Kinder und drei Enkel.