Eiskalt erwischt!

Eiskalt erwischt!


Fotos: Corinna Eichberger-Renneisen – Text: Petra Neumaier

 

Tief einatmen, in den Bauch, und dann langsam ausatmen, während die Füße und dann die Beine eintauchen. Stufe für Stufe. Und nur nicht denken. An die Eisschollen. Und schon gar nicht an die Jahreszeit. Die Haut scheint sich um die Knochen zusammenzuziehen. Frieren? Nein. Kalt? Ja. Aber eben nicht frieren. Kein Zittern. Nur eine Art von Starre. Die Füßlinge aus Neopren saugen sich mit dem kalten Wasser voll. Die mit Handschuhen geschützten Hände bleiben über Wasser, auch der bemützte Kopf, der aus der gerade von Eis befreiten Wasserfläche ragt. Die Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen. Eisbaden ist gesund und macht Spaß, denn der Reiz setzt Glückshormone frei. Und der Körper wird ein anderer sein. Danach, wenn er wieder warm ist.

 

Ein Sonntagmorgen im Januar, 9 Uhr, am Germeringer See. Tatsächlich könnte es jede Uhrzeit, jeder Tag, jedes Gewässer sein. Denn Eisbaden ist „in“. Nicht erst seit Corona, als die Möglichkeit, die Abwehrkräfte natürlich zu mobilisieren regelrecht in Mode kam und sogar Promis mediengefolgt in die kalten Fluten stiegen. Trotzdem sind wir in Germering, weil hier jeden Sonntag die größte organisierte Gruppe zu finden ist, die „Germeringer Eisfrösche“.

 

Das Thermometer sagt Minus sechs Grad. Brrr! Das Aussteigen aus dem warmen Auto ist bereits eine Überwindung. Gegenüber hüpft hingegen eine kleine Gruppe plappernder Frauen aus dem Fahrzeug. Hübsch geschminkt, die Haare gestylt wie frisch vom Friseur. Eine riesige Musikbox wird aus dem Kofferraum gehoben. Und große Taschen. Eine Party? Die Frauen halten eine Axt in die Höhe. „Wir gehen baden“, sagen die fröhlichen Damen, die sich später als Mitglieder der „Bayerischen Walrosse“ outen werden.

 

Die Zehen sind auf dem Weg zur Wasserwachthütte schon halb gefroren. Jetzt auch noch ausziehen …Au Backe! Das umgewickelte Handtuch wärmt nicht wirklich. Schnell auf der Stelle trippeln. Und hüpfen im Takt der Musik, die aus der Musikbox wummert. Der Atem vernebelt die Sicht. Der Blick geht ins Leere. Fröhliches Lachen rechts und links, herzliche Begrüßungen vorne und hinten. Immer mehr Männer und Frauen treffen ein, etwa 15 an der Zahl. Viele kennen sich oder lernen sich heute kennen. Eisbaden verbindet. Hüllen fallen, Bikini, Badehose, Badeanzug sind darunter. Wie im wärmsten Sommer. Nur Handschuhe und Mütze bleiben an. „So bleibt der Körper länger warm“, erklärt Natalie Wrobel, die Ende 2022 die „Germeringer Eisfrösche“ gegründet hatte.

 

Weshalb? Die Germeringerin lacht: „Weil ich es ausprobieren und nicht alleine sein wollte.“ Der Grund ist weniger ein gesellschaftlicher. Eisbaden ist zwar gesund, aber nicht ganz ungefährlich. Die Grenze ist schmal zwischen Stoffwechselaktivierung und beginnendem Erfrieren. Die plötzliche Kälte ist zudem für das Herz-Kreislauf-System eine Belastungsprobe. Ohne richtige Vorbereitung oder bei Herz- oder Gefäßproblemen kann der Kälteschock sogar lebensgefährlich sein! Falscher Ehrgeiz ist das sowieso. „Pro Grad Wassertemperatur maximal eine Minute“ ist vor allem am Anfang die goldene Regel. Achtsamkeit für den eigenen Körper geht über sportlichen Ehrgeiz und vorzeitiger Rückzug ist keine Blamage. „Das Steigern der Badezeit mit regelmäßigem Training kommt von allein“, wissen die Profis. 

 

Wie Peter Schwemmer und Jan Vossler. Bis zur Brust stehen sie bestimmt schon mehr als zehn Minuten in dem kleinen Wasserloch und schlagen im Stakkato mit der Axt auf die dicke Eisdecke. Im drei Grad kalten Wasser! Immerhin über Null. „Schön warm“, sagt Peter Schwemmer mit rotglühenden Wangen und grinst. Mit jedem Schlag sprüht er Eissterne in die Luft, kleine und größere Schollen werden lose über das Eis geschoben. Eine Schlittschuhläuferin zieht weitläufig vorbei.

 

Ab dem 31. Oktober bis zum späten Frühling treffen sich an Sonntagen die „Germeringer Eisfrösche“. Einige Volkshochschulen bieten außerdem Kurse im Eisbaden an.

Endlich ist das Loch groß genug. Über den glatten Steg schlitternd steigen die „Eisfrösche“ und „Walrosse“ (und die, die es noch werden) in den See. Jauchzer, lautes Lachen, begeisterte „ach wie herrlich“ Rufe schallen aus dem eisigen Pool. Der „Gute Laune Kick“ schlechthin. Endorphine, Adrenalin: Baden in Glückshormonen, die gleichzeitig den Körper zu fluten scheinen. Einer Teilnehmerin half das regelmäßige Bad im eisigen Wasser sogar gegen ihre Hüftarthrose, erzählt sie strahlend! Tatsächlich werden durch den Kältereiz auch die entzündungshemmenden Kortikoide ausgeschüttet. Die Durchblutung wird gefördert und der Blutfluss zu den Organen und Muskeln erhöht: Schmerzen und Entzündungen können reduziert und sogar Verletzungen geheilt werden. Einig sind sich alle: Regelmäßiges Eisbaden ist gesund und schützt vor Infekten!

 

Geschwommen wird nicht, dazu ist das Loch zu klein. Stillstehen, genießen, sich anlächeln und gegenseitig beglückwünschen ist sowieso schöner – und schon fast gemütlich. Einen Moment lang scheint sich der Körper sogar an die Kälte gewöhnt zu haben, bis … jetzt aber schnell raus!

 

Keine Gelegenheit lassen die „Bayerischen Walrosse“ aus, gemeinsam mit anderen Eisbadern in die Gewässer zu steigen. Die lustigen Polinnen sorgen dann auch für Stimmung und organisieren auch immer wieder selbst Events. Regelrechte Eisbader-Partys sind das dann, die Musikbox ist laut wummernd dabei.

Knallrote „Frösche“ steigen nach und nach die Leiter hinauf. Dampfend. Glücklich. Die taube Haut spürt das Rubbeln des Handtuchs nicht. Und dann? Urplötzlich scheint der Körper seine Heizung anzuschalten. Ein Kribbeln, als würden tausende von Ameisen über die Haut krabbeln überfällt die Haut, die sich wie neu geboren anfühlt. Fast steht Schweiß auf der Stirn beim Anziehen. Trotzdem gut einpacken. Heiß dampft der Tee aus der Thermoskanne. Ein „Walross“ verteilt Schokopralinen mit Wodka-Füllung, während das Wasserloch schon wieder leicht zufriert und alle Natalie Wrobel bestgelaunt Recht geben: „Ein bissi verrückt muss man schon sein.“

  

Sieben goldene Regeln für Eisbader

 

1. Den Körper trainieren

Vor dem ersten Eisbad (und zwischendurch) möglichst täglich oder mindestens einmal pro Woche mit kalten oder wechselwarmen Duschen an den Kältereiz gewöhnen.

 

2. Immer in Begleitung baden

Sowohl beim ersten Mal als auch bei jedem weiteren Eisbad (und egal, wie gut trainiert man schon ist) sollte für den Notfall immer jemand dabei sein, der helfen könnte. Bei Erkrankungen von Herz und Kreislauf vor dem Bad den Kardiologen befragen. 

 

3. Nur kurz ins Wasser und langsam steigern

Die Faustregel: Pro Wassertemperatur-Grad eine Minute, es darf aber auch kürzer sein. Vor allem am Anfang. Länger als fünf Minuten sollte man nicht im Wasser bleiben. Ein Parameter ist: Wird der Körper nach dem Bad den ganzen Tag über nicht warm, war man zu lange im Wasser. 

 

4. Der Kopf bleibt immer über der Wasseroberfläche

Niemals in das eiskalte Wasser springen und schon gar nicht darin tauchen. Es besteht sonst Lebensgefahr!

 

5. Die Kälte wegatmen:

Weil die Kälte in der Regel Schnappatmung und Zittern auslöst, kann man durch eine bewusste Atmung entgegensteuern. Atemübungen und das bewusste Ausatmen beim Einstieg in das Wasser helfen gegen die Kälte.

 

6. Sich schnell wieder aufwärmen

Weil die Hände meist steif sind, ist leicht anzuziehende Kleidung empfehlenswert. Sehr hilfreich sind mit einer Wärmflasche vorgewärmte Kleidungsstücke sowie heißer Tee. Unbedingt weiter die Mütze aufbehalten und einen Schal umlegen. Am Hals befinden sich die meisten Kälterezeptoren! 

 

7. Dran bleiben!

Das erste Eisbad kostet Überwindung, die nächsten vielleicht sogar noch mehr. Motivierend sind Gruppen, denen man sich anschließen kann. Und schon bald wird das Eisbaden regelrecht zur Sucht. 

 

 

 

Dinner for GUSTL

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