Mit Volldampf voraus
Foto / Rerpros: Simon Katzer; Text: Christoph Bergmann
Wo heute im Sommer wieder reger Schlauchbootverkehr herrscht, muss auch in früheren Zeiten schon einiges los gewesen sein. Die Amper, sind Historiker überzeugt, war wie alle größeren Fließgewässer in einem sonst kaum erschlossenen Land ein wichtiger Transportweg für Menschen und Waren aller Art. Von ersten Einbäumen über Flöße bis hin zu Gondeln für vornehme Reisende dürfte der Fluss so einiges an schwimmenden Fahrzeugen gesehen haben. Aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann eine regelrechte Schifffahrt auf dem Oberlauf der Amper. Zeitweise verkehrte eine ganze Ausflugsflottille zwischen der Anlegestelle in Wildenroth, dem heutigen Grafrath, und Stegen am Ammersee.
Wahrscheinlich hatte es auf dem Ammersee schon länger bescheidenen Fährverkehr gegeben, vielleicht wurden schon die ersten Touristen übers Wasser gerudert. Aber das volle Potenzial für den Fremdenverkehr wurde erst in den 1970er-Jahren des 19. Jahrhunderts entdeckt. Als nämlich der See mit Fertigstellung der Bahnlinie Richtung Allgäu im Jahr 1873 näher an München rückte. Der neue Bahnhof in Wildenroth war nur wenige Kilometer von der Nordspitze bei Stegen entfernt. Nur war der Transport der Sommerfrischler auf Leiterwagen unbequem und für die zunehmende Gästeschar auch nicht mehr ausreichend.
Abhilfe fand sich, als die 1878 von zwölf weitblickenden Dießener Bürgern gegründete „Aktiendampfschiffahrtsgesellschaft Ammersee“ zwei Jahre später mehrheitlich von Hugo von Maffei übernommen wurde. Der Bankier, auch Mitglied der bayerischen Ständekammer, hatte die Münchner Lokomotiv- und Maschinenfabrik seines Onkels geerbt und dort entstand nun auch das erste, ausschließlich für die Amper gedachte Transportmittel. Die „Marie-Therese“, nach der Frau des bayerischen Thronfolgers benannt, war ein 25 Meter langes Fahrgastschiff, mit hohem Kamin, aber geringem Tiefgang von nur 70 Zentimetern bei voller Ladung. Die Dampfmaschine konnte das Schiff auf bis zu 17 Stundenkilometer beschleunigen, die Fahrtzeit nach Stegen betrug flussaufwärts 35 Minuten. Der Kapitän am offenen Steuerstand hatte über ein Sprachrohr Verbindung zum Maschinenraum.
Der Dampfer bot 150 Ausflüglern Platz, den besonderen Komfort eines Sonnensegels konnten die Passagiere der ersten Klasse auf dem „Achterdeck“ genießen. Ein Stück vor der Amperbrücke nahe der Rasso-Kirche entstand ein hölzerner Pier. Am 10. Mai 1880 legte die Marie-Therese erstmals im regulären Shuttledienst ab.
Über Fahrpreise ist heute nichts mehr bekannt. Es gibt die Geschichte vom nächtlichen Sonderzug, der für die feine Gesellschaft auf die Schnelle bereitgestellt wurde, als das Schiff nach einem Steuerbruch manövrierunfähig war und evakuiert werden musste. Aber es waren auch andere Reisende unterwegs als nur das bessere Publikum. Später sollen bis zu 2000 Gäste täglich befördert worden sein, es wurden Schleppkähne angeschafft, die an einer langen Leine mitgezogen noch einmal je 150 Leute tragen konnten. Und das „Reserl“, wie es der Volksmund umgetauft hatte, bekam alsbald Gesellschaft.
Über die Jahre wurde eine Reihe von weiteren Schiffen angeschafft. Darunter die „Tristan“, mit der einst Ludwig II. über den Königssee geschippert war, später ein 25 Personen fassendes Motorschiff für die verkehrsschwachen Tage. Auch vom Ersten Weltkrieg erholte sich dieses Transportgewerbe. Schon 1906 hatte Bayern die „Ammersee- und Amperschiffahrt“ übernommen und zunächst von den eigenen staatlichen Bahnen und nach dem Ende der Monarchie von der Reichsbahn betreiben lassen. Die kaufte noch 1924 ein benzingetriebenes Motorschiff, das ein noch nicht dagewesenes Tempo erreichte. Das Rennboot mit einer Leistung von 200 PS konnte seine Höchstgeschwindigkeit von 24 Stundenkilometern zwar auf dem Fluss nie ausfahren, verkürzte aber die Reisezeit auf 25 (flussaufwärts) und 20 (mit der Strömung) Minuten.
Mit Beginn des neuen Krieges 1939 wurde die Amper-Schifffahrt eingestellt – für immer, wie sich zeigen sollte. Das Reserl war schon 1925 ausgemustert worden, wurde bis 1959 als Hausboot auf dem Ammersee genutzt und dann verschrottet. Die etwas moderneren Nachfolger wurden an die Donau verkauft. Wohl wurde in den 1950er-Jahren noch einmal über eine Wiederaufnahme des Passagierverkehrs nachgedacht, aber in einer zunehmend motorisierten Gesellschaft wäre sie wohl kaum mehr rentabel gewesen. Der letzte überlebende Zeuge eines einst florierenden Gewerbes ist die ehemalige Ausflugsgaststätte praktisch direkt am Anleger. Sie heißt heute „Dampfschiff“.
Gequälte Seele im Nebel
Die Marie-Therese trug in ihrer 45-jährigen Geschichte als Amper-Dampfer viele Namen. In der neuen Republik wurde sie 1918 in „Wessobrunn“ umgetauft, beim Volk hieß sie immer schon liebevoll „Reserl“ oder auch „Mooskuh“. Von der Gestalt her ähnelte sie zwar kaum einem Rindvieh, aber das Tuten ihres Signalhorns soll an die Laute einer Rohrdommel erinnert haben, die man wiederum mit dem Muhen einer Kuh verwechseln konnte. Wiederholt soll der Vogelruf für den Schrei eines möglicherweise verirrten Kälbchens gehalten worden sein. Oder auch für das Klagen einer gequälten Seele, wie sie der schaurigen Legende nach einen Jäger ins neblige Moor lockte. Tage später fand man seine Leiche, bewacht von seinem Hund.
Marinestützpunkt Grafrath
Nicht weit von der Anlegestelle, an der alten Wildenrother Mühle, soll es in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zu einer Art militärischen Nutzung der Amper gekommen sein. Was genau dort geplant wurde oder entwickelt werden sollte, ist nie geklärt worden, aber es haben sich Eingabepläne und Skizzen einer „Versuchsanstalt für Schiffsmaschinen“ aus Danzig erhalten. Demnach sollte wohl ein Versuchsgerinne, ein Strömungskanal, entstehen. Welche Wunderwaffe da erprobt werden sollte? Gerüchte wussten damals von einem sogar aus Kiel herantransportierten Ein-Mann-U-Boot, auch über Experimente mit Torpedos wurde spekuliert. In den Archiven der Kriegsmarine findet sich keine Erwähnung einer Versuchs- und Erprobungsstelle Grafrath. Auch das nahe Stegen, in dem ein höherer Militär noch Ende 1944 eine Tauch- und Kleinst-U-Boot-Schule besichtigt haben will, wird nicht genannt. Kurz vor Kriegsende sollen Waffen- oder Ausrüstungsteile im Ammersee versenkt worden sein. Nach ebenso unbestätigten Berichten wurden sie 1951 gehoben und danach eingeschmolzen.