Der Brückenbauer
Fotos: Simon Katzer - Text: Petra Neumaier
Bücher über Bücher. Vom Boden bis unter die Decke. Dicke, dünne, mit deutschen und englischen Titeln, antike Werke und Neuerscheinungen, wissenschaftliche Abhandlungen und Belletristik. „Ich bin ein Bücherwurm, Bücher sind meine Nahrung“, sagt Jürgen Wasim Frembgen. Aber das ist nur die halbe Nahrung. Die andere spiegelt sich im gesamten Haus wider: In orientalischen, religiösen Exponaten, in farbenfrohen Bildern und Tüchern an den Wänden, unzähligen orientalischen Musik-CDs und sogar in dem zart-betörenden Duft von feinem Räucherwerk und würzigem Tee: Denn die zweite Heimat des 66-Jährigen, der seit 33 Jahren in Gröbenzell wohnt, ist Pakistan. Seit 1981 ist der renommierte Ethnologe, international angesehene Islamwissenschaftler und ausgezeichnete Autor jedes Jahr mindestens einmal zu ethnographischen Feldforschungen dort. Außerdem forschte er in Indien und Iran und kuratierte 36 Ausstellungen über Kulturen der muslimischen Welt – überwiegend im Völkerkundemuseum „Fünf Kontinente“ in München, dessen Orient-Abteilung er 30 Jahre leitete. Dabei ging und geht es ihm nicht nur darum, seinen eigenen Wissensdurst zu stillen. Vor allem will er Brücken zwischen den Kulturen und Religionen bauen.
Bescheiden führt Jürgen Wasim Frembgen durch die Räume seines Hauses. Seine Begeisterung nur mühsam zurückhaltend für ein Lebenswerk, das mit Beginn seiner Rente 2016 noch längst nicht beendet ist. Seit zehn Jahren ist er in Karatschi unterwegs, der größten Stadt Pakistans und einer der gefährlichsten Megacitys der Welt, im Gespräch mit Nachkommen afrikanischer Sklaven. Jahrhunderte lang wurden sie nach Pakistan verschleppt, ihre Magie, ihre Heiligen und ihre Musik sind bis heute geblieben. Eine spannende Suche an einem nicht gerade angenehmen Ort. Der Forscher, der sich aus den Slums von Karatschi „schon alles Viehzeug mitgebracht hat“, strahlt dennoch voller Begeisterung. „Für Außenstehende ist alles wild und fremd, aber wenn man sich mit den Menschen befasst, mit ihnen fühlt, in ihre Kulturen eintaucht, dann zeigt sich eine enorme Schönheit und dann öffnen sich Türen in eine andere und oft unerwartete Welt“, schwärmt er und erzählt von Rikscha-Fahrern, die auf den Innenseiten ihrer Fahrzeugtüren ihre eigenen Gedichte festgehalten haben.
Die freundlichen Augen funkeln hinter der Brille. Eine Geschichte über Erlebtes reiht sich jetzt an die andere, wie die Perlen der Gebetsketten, die in der Vitrine vor einem Orden ruhen. 2011 wurde ihm der „Tamgha-i-Imtiaz“, ein hoher Verdienstorden für Wissenschaft und Literatur, vom Staatspräsidenten Pakistans verliehen. Der Forscher ist in der islamischen Welt eine angesehene Persönlichkeit und war sogar Gastprofessor in Islamabad und Lahore.
Eine Persönlichkeit ist er, eher unauffällig wirkt er. Möglichst wenig sichtbar zu sein, nicht aufzufallen, ist schließlich auch das wichtigste Gebot bei seinen Forschungsreisen, auf denen er mit einer kleinen Schultertasche unterwegs ist. Handlich sind deshalb auch seine Notizbücher – die kleine Digitalkamera zückt er selten. Trotzdem, oder gerade weil er mit dem Herzen all die vielen kleinen und großen Erlebnisse sieht und bewahrt um sie dann, zu Hause, in seiner Schreibstube mit Blick auf den Garten, auf Papier zu bringen, sind seine Erzählungen so faszinierend authentisch.
„Ohne Neugier und Wissensdurst kommt man als Ethnologe nicht weit.“
Das Fernweh und die Sehnsucht nach der verlorenen Ursprünglichkeit packt den 1955 im rheinischen Siebengebirge bei Bonn Geborenen früh. Als Kind strolcht er stundenlang durch die Wälder der sagenumwobenen, geheimnisvollen Hügellandschaft. Das Standardwerk „Die Sitten der Völker“, ein Geschenk seines Großvaters, wird sein Lieblingsbuch. Auch die Musik hat es ihm angetan. Bereits in den 1970er Jahren lauscht der Teenager fasziniert den indischen, afghanischen und iranischen Klängen, die im WDR gesendet werden und nimmt sie auf einem alten Grundig-Tonbandgerät auf. Kaum ein Live-Konzert der fremden Klangwelt im Bonn-Kölner-Raum findet ohne ihn statt. In einem eigenen Buch („Nachtmusik im Land der Sufis“) wird er später das „tiefe Erleben, das völlige Ergriffensein, die Sogwirkung durch die klassische Raga-Musik mit ihrem Reichtum an Obertönen“ beschreiben.
Da seine Patentante einen Diplomaten aus Afghanistan heiratet, fährt Jürgen Wasim Frembgen 1976 zum ersten Mal in dessen Heimatland. Begeistert von der Lebensfreude und der unglaublichen Vielfalt der Völker zurückgekehrt, beginnt er in Bonn das Studium der Ethnologie, Vergleichenden Religionswissenschaft und Orientalischen Kunstgeschichte (das er schließlich in Heidelberg beendet). Im Hindukusch, dem Grenzgebirge zwischen Afghanistan und Pakistan wollte er eigentlich auf afghanischer Seite seine Feldforschungen betreiben. Wegen des 1979 beginnenden Krieges muss er diese jedoch nach Pakistan verlegen. Dort lebte er bei bislang kaum erforschten Bergvölkern. „Ich wollte fremde Kulturen kennenlernen, verstehen und untersuchen, wie solche Gesellschaften funktionieren“, erzählt er.
Die erste, und auch die nächsten Reisen, sollen jedoch weitaus strapaziöser werden, als er sich vorgestellt hatte. Neben physischen Entbehrungen sind sie auch von Einsamkeit und Langeweile geprägt. „Ohne Kommunikation ist man schlecht dran“. Als der junge Forscher Urdu, Hindi und Persisch zu sprechen beginnt, wird es besser. Die Isolierung von der Außenwelt (Handy und Internetverbindungen gab es ja noch nicht), bringen den frisch Verheirateten jedoch zuweilen an seine psychischen Grenzen. Luftpostbriefe brauchen ewig bis sie ihr Ziel erreichen und zum Telefonieren muss er teils im Hochgebirge auf die andere Talseite wechseln, weil es nur dort eine Station gibt. „Bei Forschungen im Stammesgebiet in der Nähe des Nanga Parbat gab es weder Brief- noch Telefonverbindungen“, erinnert er sich.
Hinzu kommen Gefahren. Stammesfehden, in die er unabsichtlich hineingerät und bei denen ihm einmal die Kugeln um die Ohren fliegen. Wem kann man trauen, wem sich anvertrauen? ist eine wiederkehrende Frage. Jürgen Wasim Frembgen hört auf sein Bauchgefühl, und das führt ihn tatsächlich zu Menschen, zu denen er lebenslange tiefe Freundschaften entwickelt. Stets auf die Gepflogenheiten und Etiketten bedacht, gewährt man ihm Einlass in die geheimnisvollsten, entlegensten Gegenden und an heilige Stätten.
„Wenn man Brücken bauen will, muss man sein Wissen weitergeben.“
Seine Liebe zu den Völkern und der Landschaft fängt Feuer. Viele Monate im Jahr verbringt er bei Familien, schläft auf kahlen Böden oder einfachen Holzgestellen („man muss einen guten Rücken haben …“), isst ihre Speisen („…und manchmal auch einen guten Magen“). Er lernt sich Zeit zu nehmen, geduldig auf die richtigen Momente zu warten, flexibel auf Situationen zu reagieren. Als er dann dafür bereit ist, sich auch auf die Mystik einzulassen, ist er beeindruckt von ihrer Schönheit und Weisheit. Die Musik wird zudem der Türöffner in diese andere Welt, die ihm die Erfahrung und den Zugang zum Göttlichen gewährt. Jürgen Wasim Frembgen taucht darin ein. Und findet seine spirituelle Heimat im Sufismus. „Der volkstümliche Islam ist geprägt von Magie und friedvollem Zusammenleben. Die Sufis sind islamische Mystiker in einer Intensität, die sich nicht beschreiben lässt“, versucht er kurz zu erläutern. Jürgen Wasim Frembgen, katholisch getauft und aufgewachsen, konvertiert 1989 zum Islam. Viele Male unternimmt er Pilgerfahrten zu Heiligenschreinen. Rauschende und berauschende Feste. 2010 auch mit einem Kamerateam des WDR und 3Sat. Überhaupt ist er manches Mal als Reiseleiter unterwegs (z.B. im Iran).
„Viele Menschen haben verquere Vorstellungen über den Islam. Es ist höchste Zeit, Vorurteile aufzugeben.“
Bereits im Alter von nur 30 Jahren wird er Leiter der Orient-Abteilung und schließlich Hauptkonservator am Münchner Völkerkundemuseum. Eben solange wird er es bleiben. Im Verlauf seiner Feldforschungen sammelt er Gegenstände traditionellen Handwerks, Schmuck, Amulette, Teppiche, Sufi-Poster und Alltagsobjekte, um die lokalen Kulturen zu dokumentieren und im Museum zu repräsentieren.
Seine Beobachtungen, seine Erkenntnisse in Forschungsreisen über mehrere Jahrzehnte – unterstützt von seiner Frau Sabine („der Rückhalt meiner Arbeit“) und später zuweilen begleitet von seinen Söhnen – hält er in Deutsch und Englisch in mehr als 40 wissenschaftlichen Büchern und über 150 Aufsätzen fest, zudem in mehreren Erfahrungsberichten, die den Charakter authentischer Abenteuererzählungen haben.
„Die wissenschaftliche Sprache reichte einfach nicht aus, um das Erlebte wiederzugeben.“ Doch dadurch erreicht Jürgen Wasim Frembgen auch ein nicht-wissenschaftliches Publikum.
Gerade hat er ein neues Buch geschrieben: „Sufi-Hotel – Aufzeichnungen aus den Untiefen einer Megacity“ heißt es und erscheint in den kommenden Monaten (Berlin/Schiler & Mücke). „Mein Leben ist ein Geschenk. Ich durfte das Leben in mittelalterlich anmutenden Wehrdörfern erfahren, Derwische auf Pilgerfahrten begleiten und die ekstatische Musik und den Trancetanz an Heiligenschreinen miterleben. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich diesen Weg gehen durfte. Diese Erfahrungen waren eine totale Bereicherung, prägten meine Persönlichkeit – und“, Jürgen Wasim Frembgen lächelt verschmitzt, „ich durfte damit sogar Geld verdienen.“
Weiteres über Jürgen Wasim Frembgen:
Der promovierte Ethnologe, habilitierte Islamwissenschaftler und Schriftsteller lehrte als Professor für Religions- und Kulturgeschichte des Islam am Institut für den Nahen und Mittleren Osten der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war Gastprofessor an der Quaid-i-Azam Universität in Islamabad, am National College of Arts in Lahore und der Ohio State University in Columbus, Ohio.
Er publizierte extensiv über Süd- und Westasien, insbesondere über Pakistan. Seine Forschungen beschäftigen sich vor allem mit dem Sufismus und indigenen Islam sowie materieller Kultur, der Anthropologie des Körpers, sozialen Außenseitern und Facetten populärer Kultur. Neben seiner akademischen Arbeit schreibt er Erzählungen über seine ethnographischen Erfahrungen in Pakistan. Frembgen wurde zu internationalen Literaturfestivals eingeladen. Zahlreiche Radiobeiträge erschienen in Deutschland und Österreich über seine akademische und literarische Arbeit.
Jürgen Wasim Frembgen wohnt seit 33 Jahren in Gröbenzell mit seiner Frau Sabine, die er während des Studiums kennengelernt hatte und die fast zehn Jahre lang in der Redaktion der renommierten ethnologischen Zeitschrift „Anthropos“ arbeitete. Das Ehepaar hat drei Söhne
Seine Name ist oft Anlass für Fragen: „Im Rheinischen wird eine fremde Taube im Schlag Frembchen genannt“, erklärt der Wissenschaftler. Der Name „Wasim“, der ihm bei seiner Konversion zum Islam gegeben wurde, bedeutet „Schönheit“ und steht für eine Qualität des Propheten.