Architekt, Stadtplaner und Designer
FOTOS / REPROS: Corinna Eichberger-Renneisen TEXT Christoph Bergmann
Dem zumindest im Alter gestrengen Herren, der sehr auf Konvention und Etikette hielt, wären diese jungen Leute vielleicht etwas suspekt gewesen. Und doch ist es ausgerechnet einigen Mitgliedern der „Subkultur“ in Fürstenfeldbruck zu verdanken, dass ein Architekt, der ihr Ur-Ur-Großvater hätte sein können, wieder aus der Vergessenheit geholt wurde. Denn diese Konzert-Veranstalter treffen sich im früheren Brucker Schlachthof an der Amper. Einige, kunsthistorisch Interessierte aus dem Verein begannen – angeregt durch einen Kunstlehrer am Viscardi-Gymnasium – sich für die Geschichte des Gebäudes und dessen Planer zu interessieren. Und so, nach bisweilen mühsamer Recherche, wurde vor einigen Jahren mit einer Ausstellung wieder an einen Baumeister erinnert, der das Gesicht seiner Stadt wohl wie kein anderer geprägt hat: Adolf Voll.
In rund 50 Jahren Tätigkeit als freier Architekt soll er mindestens 450 Entwürfe im Rathaus eingereicht haben – die ersten noch in der Kaiserzeit, die letzten schon im beginnenden westdeutschen Wirtschaftswunder. Voll plante repräsentative Villen und schlichte Kleinhäuser, entwarf gewerbliche Bauten und Veranstaltungshallen, war sich aber auch nicht für eine Hauskapelle oder eine Trafostation zu schade. Und auch mehrere Umbauten und Inneneinrichtungen – wie in seinem Stamm-Café Brameshuber oder im Hotel Post – gehen auf sein Konto. Wer sich etwas Zeit für einen Spaziergang nimmt, kann außerhalb der engeren Altstadt überall auf seine Spuren stoßen.
Schlachten und Baden
Volls zweiter großer Auftrag, also fast noch ein Gesellenstück, war bereits ein Meisterwerk: Der Schlachthof auf einer Amperinsel von 1911. Der Magistrat der damaligen Marktgemeinde sah die Hausschlachtungen bei den Metzgern zunehmend als hygienisches Problem und damit auch – es muss im Sommer vereinzelt streng gerochen haben – als abträglich für den florierenden Fremdenverkehr. Die eigentlich geniale Idee war aber, die für das Sieden und Brühen der Fleischteile notwendige Energie auch zum Heizen zu nutzen: Im selben Gebäude-Komplex entstand ein Warmbad mit Duschen und Wannen. In einer Zeit, als viele Brucker ihr Wasser noch aus dem Hausbrunnen holten, eine geradezu luxuriöse Einrichtung. Und sogar dieses Industriegebäude verrät bereits viel vom Stil des Architekten: Verwinkelt, mit Erkern, Gauben und Türmchen. Es zeige, lobte nach der Eröffnung eine Leipziger Architektur-Fachzeitschrift, „dass man auch reine Zweckbauten künstlerisch lösen kann, ohne in technischer Beziehung irgendwas zu opfern“.
Noch vor 1914 wurde Voll mit mehreren großbürgerlichen Villen beauftragt und errichtete auch für sich und seine Frau Erna ein stattliches Wohnhaus an der Emmeringer Straße. Damals zog es noch allerhand Künstler nach Bruck (und Emmering) und namentlich viele Maler ließen sich hier nieder. So Eugen von Ruckteschell, dessen etwas protzige Residenz an der Dachauer Straße 1907 Volls erste große Arbeit war. Künstler-Kollegen wie die Malerin Anna von Wahl (1913), der Bildhauer Fridolin Gedon (1923) und der Schriftsteller Hans Erich Blaich (1931) liebten es schlichter, wohnlicher oder auch heimeliger, wenngleich sich auch deren teils malerische Landhäuser keineswegs verstecken mussten. Wie viel Freiheit der Planer jeweils hatte, wie viele eigene Ideen er umsetzen konnte, ist ungewiss. Einige eher strenge, Schulhaus-ähnliche Bauten scheinen nämlich durchaus auch die jeweiligen ästhetischen Vorstellungen ihrer Auftraggeber zu verraten: Auch Amtsrichter, Klinikarzt und Oberregierungsrat beschäftigten den Architekten.
Prunkstück ist die Falk-Villa
Überhaupt fällt es nicht leicht, über die Jahrzehnte eine einzige Handschrift Volls zu erkennen. Als Kind seiner Zeit, Jahrgang 1881, war er mit der Reformbewegung aufgewachsen, die gegen Industrialisierung und Verstädterung zurück zur Natur wollte und auch beim Bauen Licht und Luft und Einfachheit forderte. Auch der damit verwandte Heimatstil – an die Landschaft und deren Traditionen angepasstes Bauen mit regionalen Handwerkern und Materialien – hat ihn ganz offensichtlich beeinflusst. Aber vor allem seine Villen, viele davon noch aus den 1920er-Jahren, zeigen doch eine gewisse Verspieltheit mit ihren unterteilten Fenstern, geschwungenen Giebeln und den überhaupt abwechslungsreichen Dach-Landschaften. In späteren Jahren wiederum schien er einer zurückgenommenen, nahezu schnörkellosen neuen Sachlichkeit verpflichtet, wie sich am Lichtspielhaus von 1930 noch heute studieren lässt. Zumindest was die äußere Erscheinung anbelangt. Denn, wenn es ein Markenzeichen gab, dann das Bemühen um eine gehobene Innen-Ausstattung: Voll schuf Raum für Sitznischen mit Holzkassetten, kümmerte sich selbst um Treppengeländer und Balustraden, entwarf Türen und Wandschränke.
Wenn es wahr ist, dass ein guter Architekt sich in die Vorstellungen aller möglichen Auftraggeber hineindenken kann, dann bewies Voll größte Könnerschaft. Ein Prunkstück wie die von zwei Amper-Armen umflossene „Falk-Villa“, heute nur noch in der vegetationslosen Zeit von außen zu bestaunen, ist ebenso sein Werk wie die Jahnhalle, ein fast demonstrativ schlichter Zweckbau. 200 Meter weiter steht die heute ebenfalls noch genutzte Marthabräuhalle (1925), ein in nur sechs Wochen entstandener Holzbau mit einer Dach-Konstruktion, die fast ohne Stützen und Streben auskommt. Auch das ein Veranstaltungssaal, allerdings einer von der gediegeneren Art. Seine letzte, größere Arbeit in Bruck zeigt dann wieder einen vielleicht auch nachkriegsbedingten nüchternen Charme: Die Landwirtschaftsschule von 1950.
Im Krieg musste er den Gürtel enger schnallen
Der Mensch hinter dem erfolgreichen Architekten ist ebenso wenig leicht zu fassen. Voll heiratete eine Malerin, zählte Maler zu seinen Freunden, viele seiner kolorierten und mit Liebe zum Detail gezeichneten Pläne sind selber kleine Kunstwerke. Teils malte er sogar Aquarelle mit der Ansicht künftiger Bauten – eine Visualisierung für den Bauherrn lange vor der Computerzeit. Der Architekt war 1924 auch Mitgründer der Fürstenfeldbrucker Künstlervereinigung. Andererseits wurde der Musenfreund als ziemlicher Pedant geschildert, der einige Handwerker zur Verzweiflung brachte und sogar unvollkommen Ausgeführtes wieder abreißen ließ. Der gebürtige Münchner wurde nach seiner Einbürgerung 1908 zum Brucker mit Leib und Seele, wenngleich er auch in der näheren Umgebung wirkte. Das alte Rathaus in Germering von 1927 ist sein Werk, sein letzter bekannter Auftrag, die Erweiterung einer Metallgießerei, führte ihn 1953 nach Olching. Von seinen auswärtigen Bauten dürfte die Knabenschule in Dießen am Ammersee der bekannteste sein. Voll war Vorsitzender des Verschönerungsvereins, der unter anderem Spazierwege für die Touristen anlegte, und gehörte als Mitglied der katholischen Bayerischen Volkspartei dem Magistrat der Marktgemeinde, also der Stadtregierung an. Eine Zeit lang war er Zweiter Bürgermeister.
Seine Nachfahren rücken ihn heute in die Nähe eines entschiedenen Nazi-Gegners, aber Voll verschwand im Dritten Reich keineswegs von der Bildfläche. 1936 bekam er den Auftrag für eine neue Turn- und Veranstaltungshalle, das wahrscheinlich schmuckloseste Groß-Objekt, das er je entwarf, und noch 1939 vertraute ihm NS-Bürgermeister Adolf Schorer den Neubau seines Wohnhauses an. Erst im Krieg, als die private Bautätigkeit langsam zum Erliegen kam, mussten auch die Volls den Gürtel enger schnallen. Seine Frau soll einige ihrer Bilder versetzt haben, um die Familie über Wasser zu halten. Nach dem Krieg kehrte er noch einmal für zwei Jahre als CSU-Stadtrat und Kulturreferent in die Kommunalpolitik zurück.
Ein unangefochtener Patriarch
Vom privaten Voll weiß man nur wenig. Auf einer frühen Aufnahme trägt er einen gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart, seine Enkel haben ihn nur noch als älteren Herrn kennengelernt, der – schon längst nicht mehr berufstätig – zuhause immer noch seinen immer blütenweißen Architekten-Kittel trug. Er hatte feste Rituale, etwa den täglichen Frühschoppen mit Salzstangen und einem Glas Weißwein pünktlich um halb elf oder die Zigarre und den Schnaps nach dem Abendessen. Mindestens jeden Sonntag traf er sich mit anderen Honoratioren der Stadt zum Stammtisch im Hotel Post. In der Großfamilie in der Emmeringer Straße muss er der unangefochtene Patriarch gewesen sein. Kinder durfte man sehen, nur nicht zu laut hören, erinnert sich seine Enkelin Beate Brückner. Aber er hatte wohl auch seine sanften Seiten. Die Kleinen bekamen vom Opa jeden Abend ein süßes Betthupferl.
Adolf Voll starb 1965 im Kreis seiner Familie. Eine Straße mit seinem Namen gibt es in der Stadt, die ihm einige ihrer schönsten Gebäude zu verdanken hat, bis heute nicht.
Tipp: Um alle Voll-Bauten in Bruck zu betrachten, bräuchte es etwas Ausdauer. Einen unvollkommenen, aber kleinen und schnellen Einblick in sein Schaffen liefert die Pucher Straße. Dort entstanden zwischen 1912 und 1928 vier Häuser auf benachbarten Anwesen (Nummern 54 bis 60).