Bevor die Klappe fällt
FOTOS: Simon Katzer, Privat TEXT: Doris Stickelbrocks
Schon früh wusste Tatjana Gluska: Ich will zum Film. Das hat sie auch geschafft. Seit über 25 Jahren ist sie an Sets in aller Welt anzutreffen, bei Dreharbeiten für Kinofilme, Fernsehfilme und Serien. Aber nicht vor der Kamera, sondern bevor die Klappe fällt. Menschen in Szene zu setzen, den Charakter einer Figur zu unterstreichen, das ist ihre Leidenschaft. Ihr Weg vom Emmeringer Friseur-Lehrmädchen zur gefragten Maskenbildnerin für internationale Produktionen erinnert an eine Lebensweisheit, die auch in Drehbüchern immer wieder vorkommt: Du kannst alles erreichen, wenn du es wirklich willst und mit Herzblut anpackst. Wichtig ist ihr auch die Erkenntnis: Für seinen Traumberuf muss nicht jeder studieren. Als kreative Handwerkerin ohne großes Sicherheitsbedürfnis fühlt sie sich wohl in dieser speziellen Branche, in der alle „sehr flexibel und ein bisschen ver-rückt“ sind, wie sie es ausdrückt. Tatjana Gluskas Leben ist auf alle Fälle bunt – und das liegt nicht nur an der Schminke.
Bis obenhin türmen sich die Koffer, Boxen und Schachteln im Kofferraum des Kombis. Die Fahrerin wuchtet die schweren Teile heraus und transportiert sie auf Rollen zum Maskenplatz. Da warten ein Stuhl und ein Tisch, mehr braucht sie nicht. Die Maskenbildnerin packt aus: den aufklappbaren Spiegel, unzählige Pinsel und Stifte, reihenweise Töpfchen, Tiegel, Döschen, Paletten voller Puder und Schminke in allen nur erdenklichen Farben und Konsistenzen. Bürsten, Kämme, Scheren, Föhn, Lockenstab, Perücken. Welchen Wert ihre mobile Ausrüstung hat? „Etwa 20 000 Euro“, überschlägt sie grob. Vor jeder Produktion muss die Gage neu verhandelt werden. „In die Branche reinzukommen ist schon nicht einfach. Aber noch schwieriger ist es, sich zu halten und davon leben zu können“, erklärt die zierliche Frau. Sie wirkt ruhig, freundlich, aufmerksam und nicht so, als stünde sie selbst gern im Mittelpunkt: „Es hat gute Gründe, dass ich hinter der Kamera arbeite und nicht davor. Früher war ich eher schüchtern.“
1971 geboren und in Emmering aufgewachsen, begann sie nach dem Hauptschulabschluss mit 15 Jahren in Fürstenfeldbruck ihre Friseur-Lehre. „Mein Chef war 21, ich war sein erster Lehrling und es war eine sehr gute Ausbildung“, blickt sie zurück. Sie hatte Spaß am Beruf, doch es zog sie weiter zur Maskenbildnerschule nach München. Dort lernte sie alles Fachliche – jedoch nicht, wie man an Aufträge kommt. „Kontakte sind das A und O und man muss einfach das Glück haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, lautet ihr Fazit. Bei ihr war das 1995, als sie für eine CD-Präsentation von Wolfgang Fierek in München gebucht wurde. An diesem Tag ging Einiges schief, der Künstler war „not amused“ und die Verantwortlichen setzten ihm kurzerhand die junge, nette Tatjana ins Auto, um seine gute Laune wiederherzustellen. Das hat funktioniert und er fragte sie, ob sie nicht auch für die TV-Serie „Ein Bayer auf Rügen“ seine Maskenbildnerin sein wolle. „Also ist die kleine Tatjana in ihrem Lancia nach Rügen gefahren“, erzählt sie schmunzelnd. „Ich habe mich nicht mal getraut zu fragen, wieviel ich verdiene, war sehr aufgeregt und konnte in der ersten Woche keine Nacht schlafen.“ Dem Regisseur, Werner Masten, einem fast zwei Meter großen Südtiroler, eilte der Ruf als Choleriker voraus und er war teilweise gefürchtet. „Ich wusste: Einmal verschlafen und ich kann gleich wieder heimfahren.“
Doch sie arbeitete sehr gern mit ihm zusammen – für die nächsten sechs Jahre, danach folgte ein Engagement dem anderen. Sie lernte schnell, dass sie zunächst die Drehbücher durcharbeiten muss: Spielt es in der Jetztzeit oder ist es historisch, ist es fiktiv oder halbdokumentarisch? Ist es ein Krimi, eine Liebesgeschichte, eine Komödie, ein Drama? Ist die Figur eine Bauersfrau oder eine Businessfrau? Sympathisch, naiv, hinterhältig, böse? Das Kostüm, die Wandfarbe, das Licht: All diese Faktoren beeinflussen, wie das Gesicht des Schauspielers wirkt. Den jeweiligen Charakter mit ihren Mitteln zu unterstreichen ist die Kunst der Maskenbildnerin. Und natürlich müssen die Darsteller aufgeschlossen sein und zum Beispiel Mut zur Hässlichkeit haben, wenn es die Rolle erfordert: „Manche lassen sich darauf ein, andere weniger.“ Auf ihrem Stuhl saßen inzwischen unzählige Schauspieler, darunter Monika Baumgartner, Sissi Perlinger, Hannelore Elsner, Hannes Jaenicke, Alexandra Neldel, Erol Sander, Jutta Speidel und Tobias Oertel. Besonders stolz ist Tatjana Gluska darauf, 2005 bei der Romanverfilmung von Patrick Süskinds „Das Parfum“ dabei gewesen zu sein, dem 60-Millionen-Projekt des Produzenten Bernd Eichinger, einem bildgewaltigen historischen Spektakel.
Wenn eine Serie in der Jetztzeit spielt und die Schauspieler wie „ganz normale“ Menschen aussehen sollen, sitzt eine Frau an jedem Drehtag für etwa eine Stunde, ein Mann für eine Viertel- bis halbe Stunde in der Maske. Und das täglich über Wochen und Monate. „So eine Produktion ist eine sehr persönliche, intensive Zeit. Allein über die zwangsläufige Berührung der Haut entsteht viel Nähe.“ Es sei eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass alles, was in der Maske gesprochen wird, auch dort bleibt. Alle im Drehteam müssen sehr flexibel sein. „Dadurch bewahren sich die Leute in dieser Branche auch eine gewisse jugendliche Ausstrahlung“, findet Tatjana Gluska. Die Drehtage beginnen früh und enden spät, das heißt, während einer Produktion bleibt nur sehr wenig Zeit für Privatleben. „Aber, und das macht für mich den Reiz und vielleicht auch den Suchtfaktor aus: Die Projekte sind zeitlich begrenzt und dazwischen kann man auch mal für längere Zeit Urlaub machen. Diese Freiheit hat kein Angestellter.“ Ihre Engagements haben sie nach Italien und Frankreich, Portugal, Spanien und Marokko, Hongkong, Kambodscha und Thailand geführt – „meine zweite Heimat“, schwärmt sie über letztgenanntes Land.
Ihre erste Heimat ist nach wie vor Fürstenfeldbruck: „Ich weiß meine Wurzeln sehr zu schätzen. Sie sind mir wichtig und ich schätze den Zusammenhalt in der Großfamilie.“ 2014 hat sie ihr kleines Häuschen gefunden, das sie nur mit ihrem Kater teilt und als ihren persönlichen Sechser im Lotto empfindet. Kein Problem, sollten die Jobs als Maskenbildnerin mal ausbleiben: „Ich bin sehr vielfältig, wie ein bunter Schmetterling“, sagt sie über sich. Sie sieht sich als kreative Anpackerin, hat keine Angst vor Veränderungen, dafür jede Menge Hobbys und Ideen für alternative Einnahmequellen. Ein veganes Café mit alten Möbeln, die man auch kaufen kann, zum Beispiel. Oder individuelle Typberatung zu Kleidung und Frisur.
Tatjana Gluska
… über Schönheit: „Jeder Mensch hat seine persönliche Schönheit. Ein Gesicht muss leben. Das heutige Ausmaß von Schönheitswahn und -operationen finde ich schrecklich.“
… über die Einführung der HD-Technik: „Toll für Landschafts- und Tieraufnahmen, aber nicht für Schauspieler: Man sieht jede Pore. Wir Maskenbildner mussten auf komplett andere Produkte umsteigen und die Schminkweise ändern.“
… über Hollywoodstar Dustin Hoffman: „Während des Drehs von ,Das Parfum‘ verlangte er nach einem kleinen Kissen. Natürlich rannten gleich ein paar Leute los, um dem Star das Kissen zu besorgen. Er reichte es einer Assistentin weiter, die für diese Szene am Boden knieend eine Tür aufhalten musste – für ihre Knie. ,Ihr Frauen seid die wunderbarsten Wesen, geht sorgsam mit euch um‘, sagte er. Großartig, diese Art von Wertschätzung.“
Projekte als Maskenbildnerin (Auszug)
2021 Tatort (München, ARD)
2020 Kanzlei Berger (ZDF)
2019 Lang lebe die Königin (TV-Film, BR)
2017 – 2020 Tonio und Julia (ZDF)
2018 Mordkommission Istanbul (ARD)
2017 Der Usedom-Krimi (ARD)
2016 Der Lissabon-Krimi (ARD)
2016 Die Diva, Thailand und wir! (TV-Film, BR)
2014 – 2017 SOKO Kitzbühel (ZDF)
2010 – 2012 IK1 – Touristen in Gefahr (RTL)
2011 Deutsche Dynastien – die Hohenzollern (Doku, ARD)
2009 – 2010 Der Bergdoktor (ZDF)
2008 Tatort (aus München, ARD)
2005 Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (Kinofilm)
2001 – 2007 Der Bulle von Tölz (SAT 1)
1997 – 2000 Tierarzt Dr. Engel (ZDF)
1997 Frau Rettich, die Czerni und ich (Kinofilm)
1996 Frauenarzt Dr. Markus Merthin (ZDF)
1996 Ein Bayer auf Rügen (SAT 1)
((BU:))
((BU zum Foto mit Quietschentchen-Haarreif:))
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