Morden ist ihr Hobby
FOTOS: Simon Katzer TEXT: Petra Neumaier
Auf dem Fensterbrett des schmucken Bauernhauses stolziert ein bunter Hahn. Unter ihm, auf der vom Frühling wachgeküssten Wiese, scharren und gackern zufrieden ein paar Hühner. Schläfrig seufzt das niedrige Tor, das den Weg frei macht zu einem schmalen Weg, der eingefasst ist von knorrigen Bäumen. Hohe Rosentriebe ranken an ihnen hoch, um sich am höchsten Punkt wie ein Wasserfall in die Tiefe zu stürzen. Bilderbuch-Idylle in Moorenweis, wie sie kaum friedvoller, kaum romantischer sein kann! Und doch haust hinter den weißgetünchten Mauern des heimeligen Häuschens mit den blauen Klappläden und dem schmiedeeisernen Romeo & Julia-Balkönchen das Verbrechen! Manuela Obermeier heißt die „Mörderische Schwester“, die hier wohnt und gleichzeitig Polizeihauptkommissarin und erfolgreiche Autorin von Kriminalromanen und Kurzgeschichten ist.
Unschuldig ist ihr sympathisches Lächeln, warm leuchten die grün-braunen Augen. Wer Manuela Obermeier begegnet, vermutet in der attraktiven Frau alles andere als eine, die „Freude-am-Morden“ hat – so nennt sie jedenfalls ihre Webseite. Doch die 50-Jährige, die ausgemusterte Legehennen vor dem Schlachtbeil bewahrt, mordet in ihren Geschichten gern. Noch lieber klärt sie die Verbrechen aber auf. „Das Gute gewinnt immer“, sagt die Beamtin, die genau das im Polizeidienst nicht immer erlebte.
Eigentlich, erzählt Manuela Obermeier, wollte sie als Kind Tier- bzw. Pferdepflegerin, Vogelkundlerin, Bibliothekarin und Apothekerin werden. Lesen und Schreiben sind außerdem ihre Passion. In der fünften Klasse verfasst die Schülerin ihren ersten Roman: „Hurrikan“ heißt die Fantasy-Geschichte, von der Manuela Obermeier heute nur noch weiß, dass sie sich um ein schwarzes Wildpferd (ähnlich dem Aufkleber auf ihrem Kleiderschrank) drehte. Nachsichtig schmunzelt sie. „Ein laues Lüftchen“ sei der Roman gewesen. Wo es jetzt weht, kann sie nicht sagen.
Ihr Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, die Welt ein bisschen besser zu machen und Menschen zu helfen, führt die junge Frau nach dem Abitur schließlich in den Polizeidienst. Ihre Augen drehen sich zur Decke. „Die Praxis war oft desillusionierend“, sagt sie und erzählt von Fällen häuslicher Gewalt und Opfern, die ihre Täter in Schutz nahmen. „Nichts tun zu können“ zermürbt die empathische Polizistin.
Und dann das mit den Leichen: 1993 war das, da war sie erst zwei Wochen lang im Dienst. Das zwiespältige Gefühl zwischen aufgeregter Neugier und Angst ist ihr heute noch präsent. „Mit jedem Meter Richtung Tatort wurde mir bewusster, dass hier ein toter Mensch liegt, der eine Familie hinterlässt.“ Wie ein Voyeur fühlt sie sich – auch später, als weitere Leichen folgen. Das Überbringen von Todesnachrichten belastet sie zusätzlich. Sie schüttelt den Kopf. „Ich wollte immer zur Kripo, stellte aber fest, dass ich dafür nicht geschaffen bin.“ Erleichtert nimmt sie die Stelle als Verkehrssachbearbeiterin in Bogenhausen an. Weitere Dienststellen folgen (siehe Kasten)
Die hautnah erlebten Schicksale lassen die gebürtige Münchnerin jedoch nicht los. Vielleicht auch deshalb beginnt sie wieder mit dem Schreiben. Anfänglich sind es Kurzgeschichten. Mit ihnen wird Manuela Obermeier bei den „Polizeipoeten“ (2015) und schließlich bei den „Mörderischen Schwestern“ Mitglied – ein deutschlandweiter Verein mordlustiger Autorinnen, die gemeinsame Bücher herausgeben. „BöfflaMORD“ heißt hier ihr Erstlings-Werk. Später wird sie – nach ihrer Sprecher-Ausbildung – ihre Kurzgeschichten für das Internet als „Hör-Geschichte“ vertonen.
Das erste Buch „Verletzung“ ist ein „Zufall“ – wie so vieles im Leben von Manuela Obermeier: Wie, als sie „zufällig“ vor über 20 Jahren in einem Hardrock Café ihrem Mann begegnet, ihre „zufällige“ gemeinsame Leidenschaft für Schottland, die „zufällige“ Entdeckung des hübschen Bauernhauses in Moorenweis. „Zufall“ auch das Einspringen für eine Autorenkollegin bei einem Seminar. Hier lernt sie „zufällig“ einen Literaturagenten kennen, der sie zum Ullstein-Verlag vermittelt. Und schließlich der („Zufalls“-)Krimi, der eigentlich ein Fantasy-Roman werden sollte („Sagen und Legenden sind mein Ding“). Doch „zufällig“ und nach nur 30 Seiten kapituliert Manuela Obermeier: „Es muss doch etwas Realistischeres sein“. So entsteht die Figur der Toni Stieglitz, einer Frau, nicht allzu groß (wie sie), mit kurzen Haaren (wie sie) und Kriminalbeamtin (wie sie einst). Vehement wehrt die Autorin die Vermutung ab: „Toni Stieglitz hat nichts mit mir zu tun.“ Na gut!
Die Kritiken ihres Buches sind fast durchweg sehr gut: Die Handlung ist spannend und unterhaltsam zugleich und die Charaktere, ihre Denkweisen und Gefühle sind sogar so authentisch, dass es schon fast unheimlich ist. Einige Jahre Arbeit in der Opferberatung und im Opferschutz, „da bekommt man sehr tiefe Einblicke in die Psyche der Opfer und der Täter“, erklärt Manuela Obermeier. Obwohl marginal, treffen sie die wenigen schlechteren Kritiken von Polizeiarbeit-Besserwissern sehr. „Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, trotzdem …“, die stets akribisch recherchierende Fachfrau ärgert sich. Aber nur kurz. „Man kann es nicht allen recht machen“, denkt sie dann, liest fortan keine Kritiken mehr und schreibt einfach weiter.
Ein neuer Fall von Toni Stieglitz, „Tiefe Schuld“ (2017) folgt: wieder über 400 Seiten. Die Story fließt nur so aus ihr heraus. Der dritte Fall „Gegen deinen Willen“ (2019) hingegen ist ein „hartes Ding“ und wird selbst so spannend wie ein Krimi. Denn drei Monate vor der Abgabe hat die Autorin erst 100 der vereinbarten 400 Seiten geschrieben. „Der Schluss ist schuld“, stellt sie schließlich fest. Zum Glück hat ihr Mann die zündende Idee. Manuela Obermeier, die sich als „Langsam-Schreiber“ bezeichnet, steht ab da jeden Morgen um 3 Uhr auf, setzt sich bis 5 Uhr mit einer Tasse Kaffee an den PC – und fährt dann zu Arbeit. Nach einem Monat ist sie „platt“, aber es funktioniert.
„Nie-wiederschreib-ich-ein- Buch!“ Der Schwur, den Manuela Obermeier damals für sich ablegt, ist nach dem Druck vergessen. Zwei Bücher (und zwei weitere, gedankliche) sind schon in Arbeit: Ein Roman über das Ende von Ludwig II. sowie noch ein Krimi. Mit Toni Stieglitz? Manuela Obermeier zuckt die Schultern. „Auf jeden Fall wird es spannend“, verrät sie mit einem Schmunzeln. Dann wird sie ernst. Wenn man so nah an den Schicksalen und den daran beteiligten Menschen dran war wie sie und erlebte, wie schon banale Einbrüche das Leben der Opfer beeinträchtigen, „dann frage ich mich selbst manchmal, ob es wirklich toll ist, darüber zu schreiben.“ Aber im selben Moment meldet sich wieder ihre „heile-Welt-Ader“, die sie vor 30 Jahren bewog, zur Polizei zu gehen. Triumphierend ist ihr Lachen. „In meinen Büchern bekommen alle Täter ihre Strafe.“
Manuela Obermeier wurde 1970 in München als Tochter eines Schreiners und einer Hausfrau geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie ihre Ausbildung im gehobenen Dienst bei der Polizei. 1990 war sie eine der ersten Frauen im uniformierten Dienst überhaupt. Als erste Münchner Kommissarin wurde sie stellvertretende Dienstgruppenleiterin für den Wach- und Streifendienst. Anschließend wechselte Manuela Obermeier zur Kripo (Staatsschutz), dann zur Opferberatung und -schutz. In Bogenhausen war sie dann Verkehrssachbearbeiterin, darauf in der Polizeiinternen Sonderdienststelle „Früherkennung“ und Konfliktmanagement. Derzeit leitet sie in Pasing den Innendienst. Seit 2003 wohnt Manuela Obermeier mit ihrem Mann in dem alten Bauernhaus in Moorenweis.