Ein schöner Land zu dieser Zeit

Ein schöner Land zu dieser Zeit


Text: Christoph Bergmann, Fotos / Repros: Simon Katzer


Es ist nur mehr eine verblasste Inschrift auf der Fassade, aber sie zeugt von einem Stück Fürstenfeldbrucker Fremdenverkehrsgeschichte. „Restaurant Weiherhaus“ steht immer noch auf einem heutigen Wohngebäude oberhalb des Bahnhofs, obgleich dort schon seit über 100 Jahren kein Bier mehr ausgeschenkt, keine Brotzeit mehr serviert wird. Und überhaupt gab es die Gaststätte mit dem damals weiten Blick bis nach Dachau nur ganze vier Jahre. 1914, mit Kriegsausbruch, wurde der Betrieb eingestellt – wie sich zeigen sollte, für immer. Aber ohnehin war das Etablissement mit der exquisiten Lage nur ein eleganter Ergänzungsbau für das eigentliche, alte Weiherhaus, ein Stück hangabwärts gelegen. Das nämlich war schon seit 1878 Wirtschaft und blieb es bis zu einem Brand im Jahr 1960.

 

Trotz des neuen großen Saales und des erweiterten Gastgartens, platzte das Weiherhaus schon bald aus „allen Nähten“. Darum wurde 1904 ein Neubau geplant, der 1910 umgesetzt wurde.

Trotz des neuen großen Saales und des erweiterten Gastgartens, platzte das Weiherhaus schon bald aus „allen Nähten“. Darum wurde 1904 ein Neubau geplant, der 1910 umgesetzt wurde.

Mit Eröffnung der Bahnlinie 1873 war allmählich der Tourismus seiner Zeit nach Bruck gekommen. Die Marktgemeinde verstand es, großbürgerliche Sommerfrischler anzulocken, sogar einige ausländische Gäste, die sich samt Dienerschaft für einige Wochen einmieteten. Berühmt war damals die Amper für ihr heilkräftiges Wasser und die Möglichkeit, sich in zahlreichen Badehütten züchtig zu erfrischen. Für Tagesausflügler aus München mit kleinerem Budget gab es eine winterliche Attraktion wie die Rodelbahn. Für beiderlei Publikum lockten ein Netz von Wanderwegen und ein vielfältiges gastronomisches Angebot mit kleinen Brauereien und einigen Kaffeehäusern, in denen zahlreiche Zeitungen auslagen. Unter diesen gastlichen Stätten war auch das seit alters her erste Hotel am Platz, der Gasthof zur Post. Und dessen Eigentümer Ludwig Weiß bot den Besuchern, aber natürlich auch den Einheimischen, ein besonderes Vergnügen: Kahn-Fahrten auf einem kleinen See.

 

Im „Schokoladenzimmer“ wurde gespeist

 

Nach der Säkularisation 1803 hatte einer seiner Vorfahren die Fischweiher des Klosters Fürstenfeld erworben. Die Zisterzienser-Mönche hatten dort, entlang des Fußwegs nach Pfaffing, mehrere, vom Krebsenbach gespeiste Teiche angelegt, um sich in den Fastenzeiten wenigstens mit Karpfen oder Schleie zu behelfen, wenn es schon kein Fleisch sein durfte. Vis-a-vis vom untersten und größten der vier Gewässer lebte der Aufseher, der die Teiche und die dortigen Obstgärten vor unerlaubter Selbstbedienung zu schützen hatte, in einem wohl nicht stattlichen, aber ausreichend geräumigen Gebäude. In diesem schon damals „Weiherhaus“ genannten Anwesen, wurde 1878 ein erster bescheidener Wirtschaftsbetrieb eröffnet. Das ehemalige Hüter-Kammerl wurde zum Gastraum, der – vielleicht wegen der bräunlichen Patina – alsbald „Schokoladenzimmer“ genannt wurde.

 

Das gemütliche Stüblein reichte für das immer zahlreicher werdende Publikum aber schon bald nicht mehr aus. So wurde auch der benachbarte, frühere Ziegenstall zu Küche und Schenke umgebaut. Auf der Vorderseite entstand ein kleiner Gastgarten mit Bänken und Tischen samt Laube aus wildem Wein. Der „Geheimtipp“ wandelte sich rasch zur angesagten Location. Fremde und Einheimische spazierten nach dem Mittagstisch in der Post raus zum Weiher, wohin ein dienstbarer Geist schon mit Kaffee-Bohnen, einer Kanne voll Rahm und den damals offenbar beliebten Zuckerbrezen vorausgeschickt worden war. Bis zu 100 Tassen Mokka wurden damals täglich frisch gebrüht, ein für die Zeit ungewöhnlicher Luxus. Offiziere aus der Garnison in Fürstenfeld, Beamte, Bürger, auch das Kaffee-Kränzchen der Frau Oberförsterin gehörten zu den Stammgästen.

 

Der große Weiher selbst blieb Fischteich und im Winter Eisfläche für Schlittschuhläufer und Stockschützen, bis die stets geschäftstüchtigen Eigentümer auf eine weitere Nutzung kamen: Wassersport. 1885 wurde der Militärschwimmschule an der Amper ein ausrangierter, schwarzer Kahn abgekauft, in dem man – gegen Gebühr – ein paar Runden rudern oder sich etwas abseits der Öffentlichkeit näherkommen konnte. Die Idee fand derartigen Zulauf, dass nach und nach eine kleine Flotte entstand: Drei weitere Boote wurden bei einer Werft in Dießen am Ammersee erworben und der Chronik nach vom Post-Chef und einigen Freunden eigenhändig nach Bruck gerudert. Wie an einem großen See entstand sogar ein Bootsschuppen zur Unterbringung der Wasserfahrzeuge. Aber ob sommerliche See-Reise, im Winter Eisschießen oder später auch Skilaufen auf den recht steilen Hängen des Tals: Zur Einkehr nach der Bewegung lud stets das Weiherhaus.

 

Spektakuläre Aussicht und frohe Gesänge

 

Und das wurde trotz Erweiterung dem Andrang nicht mehr gerecht. So wurde nun ein Neubau weiter oben, auf der Hangkante, ins Auge gefasst und offenbar lange vorbereitet. Aus dem Jahr 1904 stammen die ersten Entwürfe von unbekannter Hand, es folgten andere Architekten-Pläne, die darauf hindeuten, dass der Bauherr keine zu engen Stil-Vorgaben machte. Alpenländisch und mittelalterlich kamen gleichermaßen vor. Was schließlich sechs Jahre später entstand, war eine kleine, eher konventionelle Villa, aber mit Saal und verglaster Veranda und spektakulärer Aussicht. Beide Weiherhäuser existierten fortan nebeneinander, wobei sich nur vermuten lässt, dass im oberen, wohl etwas gediegeneren, das „gehobene“ Publikum verkehrte und im unteren, urwüchsigen, der „einfache“ Gast.

 

Es muss die Hoch-Zeit der nunmehr zwei Ausflugslokale gewesen sein. War es schon vorher kein einsamer Ort mehr, so strömten jetzt die Massen ins „alte und neue Weiherhaus in Bruck bei München“, wie es auf einer zeitgenössischen Ansichtskarte heißt. Münchner Studentenverbindungen entdeckten die Örtlichkeit, ihre „frohen Gesänge erschallten über den Wiesengründen“, wie es in einer später verfassten Chronik aus dem Hause Weiß hieß. Ob auch die örtliche Künstler-Kolonie hier gemeinsam feierte, ist ungewiss. Die Presse berichtete aber von „künstlerisch klug beratenen Garten- und Seefesten“ und mehrere Maler porträtierten das Idyll. Die Münchner Zeitungen waren überhaupt des Lobes voll. Der vorzügliche Kaffee, die Fastnachtskrapfen und Kirchweihnudeln hätten einen Ruf weit über den Markt hinaus, heißt es einmal. Eine Zeitung würdigte die gute bürgerliche Küche, die erstklassigen Biere und die sonntäglichen Konzerte der Hauskapelle: Es sei „jedem empfohlen, Fürstenfeldbruck mit seinem Weiherhaus zu besuchen, das in sieben Minuten von der Bahnstation bequem zu erreichen ist“.

 

Die Fastnachtskrapfen und Kirchweihnudeln waren berühmt

 

Die ländliche Idylle und die Wassersportmöglichkeiten lockten besonders die Städter nach Fürstenfeldbruck.

Die ländliche Idylle und die Wassersportmöglichkeiten lockten besonders die Städter nach Fürstenfeldbruck.

1914 war die Party vorbei, und auch noch nach dem ersten großen Krieg dauerte es einige Zeit, bis der Gasthof im Grünen an vergangene Tage zumindest anknüpfen konnte. Die es sich leisten konnten, hatten mittlerweile entferntere und exklusivere Ziele für ihre Sommerfrische als einen Münchner Vorort und die vielen anderen hatten andere Sorgen. Das obere Weiherhaus wurde in ein Wohngebäude umgewandelt. Im alten, unteren war aber die Besucherzahl immerhin wieder so weit angewachsen, dass die Eigentümer eine letzte große Investition wagten: 1926 entstand neben dem alten Hüterhaus ein Saalbau mit Nebenräumen, der bis zu 300 Gästen Platz bot. Davor wurde eine Aussichtsterrasse zum Kaffee-Trinken eingerichtet. Das Weiherhaus begann erneut zu florieren, ehe ein weiterer Krieg dem Vergnügen ein Ende machte.

 

Nach 1945 erholte sich das nunmehr verpachtete Weiherhaus nicht mehr so richtig. Die Geschäfte liefen wohl eher mau, vielleicht wirkte das Ambiente auch nicht mehr urwüchsig, sondern altbacken. Als 1960 bei Schweißarbeiten der Saal abbrannte, wurde die Gaststätte geschlossen. Rund zehn Jahre später wurden die Reste abgerissen und noch vor Ort vergraben. Nur noch ein paar Bruchstücke der ehemaligen Terrassen-Stützmauer sind erhalten. Dafür fand das obere Weiherhaus vor einigen Jahren neue und eigentlich keinesfalls erwünschte Aufmerksamkeit. Die Bahn ließ den gesamten Hang über den Gleisen aus Sicherheitsgründen roden, den überraschten Pendlern am Bahnhof bot sich ein freier Blick auf die alte, fast vergessene Villa. Die aus ihrer Abgeschiedenheit gerissenen Mieter waren weniger erbaut.    Christoph Bergmann

 

Das „alte“ Weiherhaus ist heute ein privates Wohnhaus.

Das „alte“ Weiherhaus ist heute ein privates Wohnhaus.

 ANEKTDOTEN

Der Weiher

Bei allem Hochbetrieb durch sommerliche Bootfahrer und winterliche Eisläufer der Weiher, dem die Gaststätten ihren Namen verdankten, diente auch noch lange nach den Mönchen vor allem der Fischzucht. Ludwig Weiß, der Großvater des heutigen Senior-Chefs im Hotel Post, hat in seiner Chronik von 1936 aber einige Anekdoten notiert, die zeigten, dass es mit dem Anglerglück nicht immer weit her war. So etwa an einem Tag der Firmung im damals noch nicht nummerierten Weltkrieg. Dieser 16. Mai 1917 war nämlich einer der damals  verordneten zwei fleischlosen Tage pro Woche und die jungen Firmlinge sollten sich – wenn schon nicht Schweinsbraten oder Weißwürste serviert werden durften – doch wenigstens gebackene Karpfen schmecken lassen. Allein: Kurz vor dem großen Festessen ließ sich kein einziger Fisch im Weiher finden. Entweder hatten Diebe zuvor reiche Beute gemacht oder die Setzlinge aus dem Vorjahr hatten aus irgendwelchen Gründen nicht überlebt. Es gab stattdessen Salate und Gemüse-Platten.

 

Vielleicht noch enttäuschter müssen die geladenen Stammgäste gewesen sein, die sich bei einer anderen Gelegenheit schon zum Fischessen versammelt hatten. Denn im Weiher war ein Rekord-Hecht von 16 Pfund Gewicht gefangen worden und wartete auf seine Zubereitung. Allerdings wurde er in einem Fischbehälter in der Amper frisch gehalten und entwischte beim Herausnehmen auf Nimmerwiedersehen im Fluss. Die Honoratioren mussten sich mit Rühreiern begnügen.

 

Unbeabsichtigten reißenden Absatz fand die Frischware dagegen 1892, als nach starken Regenfällen der Weiherdamm gebrochen war und der Teich samt Inhalt auslief. Die eilig angerückten Brucker sammelten das Strandgut auf den darunter liegenden Feldern und Wiesen körbe- und säckeweise. „Wie sonst im Herbst die Kartoffeln“, wunderte sich der alte Weiß noch über 40 Jahre später. Insgesamt, so seine Einschätzung, könne man aber bei der Fischzucht – auch wegen der notwendigen Zufütterung – von einer „wesentlichen

Rentabilität“ nicht sprechen. Ein direktes Verlustgeschäft kann es aber auch nicht gewesen sein. 1934 beispielsweise lieferte der Weiher 17 Zentner Fische, einen Großteil davon bezog eine Münchner Fischhandlung, die ihre Ware dank „neuzeitlicher Vorrichtungen“ in einem eigenen Transportauto lebend in die Stadt bringen konnte. Die meisten Steckerlfische auf der Wiesn sollen damals vom Brucker Weiher gestammt haben. Heute ist der Teich an den Angelverein „Wörthseefischer“ verpachtet.

 

Die Mühle

Ein Bauwerk aus dem Ensemble rund um den Weiher hat zumindest in Teilen überlebt, obgleich das darin betriebene Gewerbe offenbar wenig lukrativ war: Die 1881 erbaute kleine Mühle unterhalb des Teichs. Hier wurde hauptsächlich für die eigenen Bedürfnisse Getreide gemahlen, in bescheidenem Ausmaß auch für Kunden. Aber schon 1936 schreibt der Chronist von der „altväterlichen Art“ der Produktion, die Mühle muss fast schon zu Zeiten ihres Betriebes museumsreif gewesen sein.

 

Und auch der darin untergebrachte Taubenschlag erwies sich als Schlag ins Wasser. Die Brieftauben waren zwar, wie erste Versuche zeigten, im Rekordtempo unterwegs, fanden bis aus Kitzingen am Main wieder heim, aber sie vermehrten sich erstaunlicherweise nicht. Der Müller-Bursche schwor Stein und Bein, dass ein Habicht den Bestand dezimiere. Aber bald stellte sich heraus, dass die fehlenden Tauben im Bratrohr des Müller-Ofens geendet hatten. Die Mühle wurde 1914 geschlossen. Das dazugehörige, restaurierte Wohnhaus steht noch und ist heute vermietet.

 

 

 

 

 

 

Peter Schreck

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