Die Killerbiene und die Bombe

Die Killerbiene und die Bombe

FOTOS Simon Katzer, Stefan Rachow . TEXT Peter Loder

 

Die Bronzemedaille, die sie vor wenigen Monaten aus Japan mitgebracht hat, hängt noch nicht am vorgesehenen Platz an der Trophäenwand im privaten Olchinger Fitnesskeller. Vielmehr liegt das jüngste glänzende Beweisstück der internationalen Erfolge von Denise Schindler griffbereit im zuletzt ständig gepackten Koffer. Denn nach dem vierten Edelmetall bei ihren dritten Paralympics eilt die 36-jährige Powerfrau der deutschen Radsport-Szene (Kampfname: Killerbiene) von einer Gala zur nächsten TV-Talkshow und weiteren öffentlichen Ereignissen, wo das Schmuckstück natürlich immer präsentiert werden muss. Als willkommene Erholung vom Reise- und Terminstress dient „meine Krafttank-Oase“, wie Schindler ihre vor einem Jahr mit Ehemann Sascha Rinne bezogene Doppelhaushälfte in Olching bezeichnet. „Hier fühlen wir uns wohl, das ist unser Rückzugsort.“

 

 

Seit fünf Jahren lebt die gebürtige Chemnitzerin – dort hatte sie als Zweijährige auch den schicksalhaften Straßenbahnunfall, der zur Amputation des rechten Unterschenkels führte – nun schon in der Amperstadt und will auch nicht mehr weg. Gelegentlich trifft man sie im Café Ganser, wo sie schon mit Lilly Becker, eine ihrer besten Freudinnen, gesehen wurde, als die Ex von Tennis-Ass Boris im nahen Dachau für einige Folgen der TV-Kultserie „Dahoam is dahoam“ vor der Kamera stand. Damals wohnte Denise Schindler noch zur Miete in einem Mehrfamilienhaus an der Feursstraße gleich neben dem Golfplatz.

 

Ihren ganz privaten Rückzugsort findet die viel- und weitreisende Sportlerin im Wohnzimmer ihrer Olchinger Doppelhaushälfte.

2018 lernte die dreifache Weltmeisterin dann beim Ball des Sports in Wiesbaden ihren Ehemann Sascha kennen. Moderiert wurde der Abend damals von Johannes B. Kerner, der nun auch das Vorwort in Schindlers gerade im Mosaik-Verlag erschienenem Buch „Vom Glück, Pech zu haben“ geschrieben hat. Die 270-seitige Biographie ist am Schreibtisch ihres neuen Olchinger Domizils entstanden. Einige der zehn Kapitel, die schildern, wie sie ihr Leben mit Prothese und Behinderung gemeistert hat und wie sie an dem Schicksalsschlag gewachsen ist, dürften auch in der Küche des vor einem Jahr bezogenen Zuhauses geschrieben worden sein („Ich koche gern, backe aber nicht“).

 

Dort und in der direkt angrenzenden offenen Wohnlandschaft haben Denise Schindler und Sascha Rinne ihren Lebens-Mittelpunkt und sich nach der Traumhochzeit 2019 am Wallberg nun auch den Traum von den eigenen vier Wänden auf 200 stilvoll eingerichteten Quadratmetern erfüllt. Nachbarn und Bevölkerung nehmen regen Anteil an den sportlichen Erfolgen. Zuletzt nach der Rückkehr von den Paralympics aus Tokio, als die Medaillengewinnerin mit einem Riesenplakat auf einer Verkehrsinsel begrüßt wurde. Der Sportstar ist angekommen in Olching, fühlt sich nicht als „Zuagroaste“, ist aber auch nicht so vermessen, um sich als „Einheimische“ zu bezeichnen. „Wir schätzen es sehr, hier zu wohnen“, sagt Schindler, die mittlerweile aber nicht mehr so ganz anonym durch die Straßen schlendern kann. Beim Einkaufen im Supermarkt gleich um die Ecke wird sie regelmäßig erkannt und angesprochen. Womit sie kein Problem hat, weil „hier alles relativ entspannt ist“.

 

Nur Autogrammkarten hat sie nie dabei.

 

Wenn alle wüssten, mit wem die Killerbiene schon alles geplaudert hat. Barack Obama gehört dazu. Natürlich auch Angela Merkel. Und selbstredend Oliver Pocher. Mit dem Comedian und Influencer verbindet Denise Schindler mehr als nur Small Talk. Das Ehepaar Pocher gehört zum engsten Freundeskreis. Weshalb die Sportlerin auch nicht groß darüber sprechen will. „Das gehört zu meinem absoluten Privatleben.“ Nur so viel: „Oli hat uns in Olching schon besucht.“ Schließlich ist Ehemann Sascha seit 15 Jahren Pochers Manager. Der 47-Jährige war vor seinem Berufswechsel in die Promi-Sparte (zu den Klienten gehören auch die Schlagerstars Giovanni Zarrella und Pietro Lombardi) in der Hotelbranche mit Stationen in Palma und San Francisco tätig. In sein Kölner Büro pendelt Sascha Rinne regelmäßig mit dem Zug, weshalb der gebürtige Hannoveraner seine Olchinger Wahlheimat auch wegen der Nähe zum nächsten ICE-Stopp in Pasing zu schätzen weiß.

Zwei Jahre war Denise Schindler alt, als ihr nach einem Trambahnunfall der rechte Unterschenkel amputiert werden musste. 23 Jahre später wurde sie Radsport-Profi. Schon ein Jahr später war sie Weltmeisterin.

 

Fern am Rhein weilte der Göttergatte auch, als daheim an der Amper der große Umzug ins neue Eigenheim anstand. Fürs Fernbleiben hatte er den Segen der Angetrauten: „Umzug ist Frauensache. Mein Mann ist nicht gerade der geborene Handwerker.“ Dafür half Oma Barbara (76) beim Packen der 110 Umzugskartons. Die Großmutter, die wie ihre in Regensburg lebenden Eltern regelmäßig zu Besuch kommt, ist gleichzeitig ihr großes Vorbild, schreibt Denise Schindler in ihrem Buch. Im Gegensatz zu seiner im Rampenlicht stehenden Ehefrau, die ihre Fans via Instagram am Star-Rummel teilnehmen lässt, hält sich der angetraute Manager eher im Hintergrund. Also quasi im Windschatten seiner radfahrenden Partnerin. Für die gemeinsamen Trainingstouren auf den Mountainbikes bevorzugen sie den Trail entlang der Amper bis zum Kloster Fürstenfeld, um dann auf die Waldpfade nach Holzhausen und Biburg abzubiegen. Immer drin ist ein Abstecher nach Fürstenfeldbruck zu „Tommis Radltankstelle“, wo sich Thomas Stannecker als Chefmechaniker um Schindlers zweirädriges Hightech-Arbeitsgerät kümmert.

 

Perfektes Material benötigt sie spätestens nächstes Jahr wieder, wenn als Saisonhöhepunkt die WM in Kanada bevorsteht. Den Winter nutzt Denise Schindler nun erst mal zur Regeneration. „Ich bin körperlich ziemlich kaputt.“ Nur wenige bekamen mit, dass die Medaillengewinnerin alle drei Rennen bei den Paralympics unter starken Schmerzen bestritten hat. Der Bandscheibenvorfall ist noch immer nicht ganz auskuriert. Dass sie unter diesen Umständen Bronze geholt hat, sei ein befreiendes Gefühl gewesen. Nach London, Rio und Tokio fehlt jetzt nur noch Gold, um die Trophäenwand im Olchinger Keller mit einem kompletten paralympischen Medaillensatz zu zieren. 2024 wäre gleich um die Ecke in Paris die nächste Gelegenheit dazu.

Wenn’s schnell gehen muss, schlägt sich die „Killerbiene“ in ihrer modernen Küche schon mal ein paar Spiegeleier in die Pfanne. Ist Ehemann Sascha daheim, wird aber gehobenere Kost serviert. Kochen gehört dazu, wenn die Medaillensammlerin und der Promi-Manager gemeinsame Stunden in ihrer „Krafttank-Oase“ genießen. Beim Einkaufen der Zutaten im nahen Supermarkt wird die Powerfrau der paralympischen Radsport-Szene immer öfter erkannt. Nach fünf Jahren fühlt sich Denise Schindler „angekommen in Olching“, ist aber nicht so vermessen, um sich als Einheimische zu bezeichnen.

 

 

Doch dann lässt die Killerbiene eine Bombe platzen,

 

die bis dahin nur im engsten Kreis zu hören war: „Ich kann mir momentan nicht vorstellen, dort zu starten.“ Tokio und die ganze Vorbereitung habe zu viel Kraft gekostet. „Ich will nicht den Moment verpassen, um loszulassen.“ Zumal die Radsportlerin schon auf Hochtouren an ihrer Karriere nach der Karriere dreht: Als Motivationstrainerin und Business-Coach hat sich Denise Schindler in eine Schar von Sport-Größen eingereiht (darunter Skispringer Dieter Thoma, Handball-Nationaltrainer Heiner Brand, Eiskunstläufer Norbert Schramm, Tennis-Ass Carl-Uwe Steeb, Radsport-Legende André Greipel), die mit ihren Lebensgeschichten bei Unternehmern und Managern inspirierende Neubelebungen in der Geschäftswelt wecken sollen. Weshalb auch nach der sportlichen Abschiedstournee die Koffer in der Olchinger Doppelhaushälfte gepackt bleiben.

 

 

Vita

Geboren 9. November 1985 in Chemnitz

1987 Trambahnunfall in Chemnitz; Amputation des rechten Unterschenkels, am linken Fuß versteiftes Sprunggelenk

Erlernter Beruf: Diplom-Betriebswirtin

2010 Beginn der Profi-Karriere als Para-Radrennfahrerin

2011 Straßen-Weltmeisterin, Weltcup-Gesamtsiegerin

2012 Paralympic-Silbermedaille in London (Straße), Weltcup-Gesamtsiegerin

2014 Doppel-Vizeweltmeisterin (Zeitfahren, Verfolgung)

2015 Doppel-Weltmeisterin (Verfolgung, Scratch)

2016 Paralympic-Silber (Zeitfahren) und -Bronze (Straße) in Rio de Janeiro; Verleihung des Silbernen Ehrenblatts, der höchsten deutschen Sportauszeichnung, von Bundespräsident Joachim Gauck; Umzug nach Olching

2017 Weltcup-Gesamtsiegerin, WM-Silber und -Bronze (Straße, Zeitfahren)

2018 Weltmeisterin (Verfolgung)

2019 WM-Silber und -Bronze (Verfolgung, Scratch); Hochzeit mit Sascha Rinne

2020 WM-Dritte (Verfolgung)

2021 Paralympic-Bronze (Verfolgung) in Tokio, WM-Silber und -Bronze (Straße)

 

Menschen im Landkreis: Dora Dorl-Nastasa, Jörg Götze, Marisa Wiethölter

Menschen im Landkreis: Dora Dorl-Nastasa, Jörg Götze, Marisa Wiethölter

Backe, backe Plätzchen

Backe, backe Plätzchen