Von Null auf Hundert

Von Null auf Hundert

Fotos: Simon Katzer

Text: Petra Neumaier


Seine Füße scheinen kaum den Boden zu berühren. Über Wurzeln fliegen sie hinweg, über Mulden. Und wenn er durch das seichte Ufer des Böhmerweihers rennt, sieht es so aus, als könne er sogar auf dem Wasser laufen. Michael Raab, passionierter „Trail Runner“, der 2013 als erster nonstop 119 Kilometer (und 3300 Höhenmeter) von München auf die Zugspitze lief, war eigentlich ein „Anti-Läufer“. Bis 2001 beim Buckelpisten-Europacup ein Totalschaden im Knie seine sportliche Karriere auf Skiern beendete. Seitdem ist er zu Fuß unterwegs und am liebsten auf Pfaden und auch achtsam daran vorbei. Weltweit auf hohe Berge, durch dichte Wälder und heiße Wüsten läuft der Gröbenzeller – und organisiert sportliche Events, bei denen eines nicht zählt: die Zeit.

Seine Ernährung: Am liebsten Schweinebraten und Weißbier. „Sogar während der Rennen will ich etwas Gescheites essen.“ Michael Raab hat alle Wettbewerbe gefinished. Hier und da auch mal ehrgeizig. In Menorca war er über die 100 Kilometer als zweiter …

Seine Ernährung: Am liebsten Schweinebraten und Weißbier. „Sogar während der Rennen will ich etwas Gescheites essen.“

Michael Raab hat alle Wettbewerbe gefinished. Hier und da auch mal ehrgeizig. In Menorca war er über die 100 Kilometer als zweiter im Ziel. Und auch bei den 100MeilenBerlin noch als Zwölfter und das, obwohl ihn ein Streckenposten an einem Checkpoint irritiert fragte, warum er schon wieder da sei? Er hatte sich verlaufen. „Das war bitter und ich war selbst schuld. Heute ist das eine schöne Geschichte, an die ich mich mit Gänsehaut erinnere.“

 

Michael Raab sitzt im Schatten eines Baumes in seinem Garten in Gröbenzell, ein Weißbier, sein Lieblingsgetränk, in der Hand. Seit 2019 wohnt er mit seiner fünfköpfigen Familie in der Doppelhaushälfte. Ein Glücksfall. Die Felder und vor allem der Böhmerweiher sind nur einen Katzensprung entfernt. Die Zahl der Wettkämpfe ist zwar geschrumpft und die 18 Stunden Training in der Woche schafft er nur noch ganz selten. Aber sobald die Kinder im Bett sind, geht er los: Laufen, Schwimmen in Seen und Bädern, radeln. Sommer wie Winter. Denn Ultraläufe über 50 Kilometer macht er immer noch. Sie entspannen den 50-Jährigen, der eine eigene Sport & Tourismus-Kommunikations-Agentur hat. Weil er dann nicht einkaufen, bügeln oder ans Handy gehen muss. Er lacht:

 

„Es ist schon komisch, sich ein Hobby auszusuchen, bei dem man wegläuft!“

 

Noch „komischer“ ist allerdings, dass das Laufen von Kindesbeinen an überhaupt nicht „sein Ding“ war. Aufgewachsen ist Michael Raab, dessen Urgroßvater mütterlicherseits einst in Fürstenfeldbruck in der Hauptstraße das erste Bankgeschäft am Ort betrieb, als echtes „Münchner Kindl“. Zur Schule geht er ins Kloster Schäftlarn. Weil es hier keine Sportanlage gibt, findet das Lauftraining im Wald oder in den Isarauen statt. „Und alles, was über 100 Meter ging, war …“, Michael Raab verzieht das Gesicht. Denn er liebt das Skifahren. Bereits mit dreieinhalb Jahren steht er auf den Brettern. 100 Skitage im Jahr sind „ganz normal“. Während des BWL-Studiums ist der muskulöse Hüne Skilehrer, springt für die Kamera elegant von verschneiten Hüttendächern und macht andere „verrückte Sachen“. Er zuckt mit den Schultern.

Einst war er Buckelpistenfahrer und Antiläufer, dann wurde er zum Ironman und Ultrafreak. „Alles eine Frage der richtigen Einstellung und des Willens!“, sagt Michael Raab, der nächstes Jahr beim Austria eXtreme Triathlon starten will.

Einst war er Buckelpistenfahrer und Antiläufer, dann wurde er zum Ironman und Ultrafreak. „Alles eine Frage der richtigen Einstellung und des Willens!“, sagt Michael Raab, der nächstes Jahr beim Austria eXtreme Triathlon starten will.

 

„Oft war ich nicht in der Uni, aber das ging damals noch.“

 

Sein Faible: das Extreme. Seine Leidenschaft: die Buckelpiste. In dieser Disziplin nimmt Michael Raab an großen Wettbewerben teil – bis hin zum Freestyle-Europacup. „Semiprofessionell“, betont er schmunzelnd, denn „im Grunde genommen war ich mit 23 dafür schon zu alt.“

 

„In dem Moment, wo Talent nicht ausreicht und andere Mittel ins Spiel kommen – egal in welcher Sportart – hört für mich der Spaß auf!“

 

Doch der Spaß soll noch ganz anders aufhören. 2001, im Freestyle-Buckelpisten-Europacup in Oberstdorf setzt sein Knie die Grenze: „Ein Totalschaden“, sagt Michael Raab und nimmt noch einen Schluck aus dem Weißbierstiefel. Erst sechs Wochen Ruhe, weil es auch den Schienbeinkopf erwischt hatte. Dann, nach zwei Monaten Kraftaufbau, die OP. Anschließend wieder Ruhe. Ein halbes Jahr und viel Training später, kann er zwar wieder gehen, mit dem internationalen Buckelpistenfahren ist es aber vorbei. Da kommt ihm ein Gedanke:

Michael Raab ist kein „Warmduscher“, und das bezieht sich nicht nur auf seinen Sport: Als die Heizung in seinem Haus einmal im Winter kaputt war, entdeckte er die positiven Wirkungen des kalten Duschens: Es spart Wasser, Energie und ist gesund. Nur …

Michael Raab ist kein „Warmduscher“, und das bezieht sich nicht nur auf seinen Sport: Als die Heizung in seinem Haus einmal im Winter kaputt war, entdeckte er die positiven Wirkungen des kalten Duschens: Es spart Wasser, Energie und ist gesund. Nur natürlich, dass der einfallsreiche Sportler gleich die „Initiative Shower Cold“ ins Leben rief.

 

„Laufen ist zwar nicht mein Ding! Aber es ist das einfachste, was man tun kann, wenn man sich bewegen will.“

 

Und man kann es überall machen. Michael Raab, dessen Schwerpunkt Studium im „Marketing und Internationale Wirtschaftsräume“ war, ist beruflich für viele Firmen unterwegs. Als „Sales Manager“ bei Bogner, als Verkaufsleiter bei Radio Gong, als Berater für Marketing & Sales und Medienberater in weiteren Firmen. Er zieht als „Head of International Communications, PR & Sponsoring“ in die Schweiz. In sein Aufgabengebiet fallen Profiteams wie die norwegische Ski-Nationalmannschaft und die Olympischen Spiele in London 2012. Doch weder die spannende Aufgabe, noch die Berge in der Schweiz können sein Heimweh nach München nehmen. Obwohl Michael Raab jedes Wochenende nach Hause fährt. Nach vier Jahren kehrt er zurück und gründet sein eigenes Unternehmen: laufcoaches.com.

 

„Ich liebe die Herausforderung, zu schauen, was geht und was nicht. Man setzt sich mit sich selbst auseinander. Das ist spannend“

 

Das Laufen, zu dem er noch immer eine Hassliebe hegt, wird überall sein „Ding“. 2002 – bereits ein Jahr nach seiner Verletzung – kommt er beim ersten Ironman in Frankfurt ins Ziel. Es folgen viele Marathons und ab 2005 sogar Dutzende Ultras und bis über 100 Kilometer. Die Zeiten? Michael Raab sind sie egal. Er rennt nicht gegen die Uhr, die ihm beruflich schon zuweilen genug Druck macht. Er läuft um sein Limit, seine Grenzen auszuloten. Also startet er beim Ultra Trail du Mont Blanc (165 Kilometer mit 9.600 Höhenmetern) und steht beim Red Fox Elbrus Race als Erster seiner Altersklasse auf dem mit 5642 Meter höchsten Gipfel Europas. Er kämpft laufend gegen brütende Hitze beim Marathon des Sables in der Wüste (250 Kilometer „Abenteuer muss halt sein“) und schwimmt in Meeren und Flüssen gegen Strömungen. Verlage werden aufmerksam. 2016 erscheint sein Buch „Dein Weg zum Marathon“, sowohl in Fachzeitschriften als auch Nachrichtenmagazinen werden seine Artikel abgedruckt.

 

 „Marathon ist rückläufig und Bestzeiten setzen jedem seine Grenze. Ich will mehr.“

 

Und das ist das Trail Running: Für Michael Raab ein „faszinierender Sport mit Zukunft“. Denn es ist ein Mehr an Erlebnis. Ein Mehr an bewusster Begegnung, von sportlicher Leistung, Natur und Kultur. Und vor allem ohne Stoppuhr und Platzierungen. Weil es solche Veranstaltungen in diesem Bereich noch nicht gibt, organisiert sie Michael Raab selbst; zum Beispiel auf La Gomera, Korsika, Mallorca und im Trentino mit Klasse und persönlicher Note anstatt Masse.

 

„Ich hatte immer das Glück, meine Träume zu verwirklichen. Zu reisen, überall tolle Menschen kennenzulernen, weltweit an super Wettkämpfen teilzunehmen und zufrieden ins Ziel zu kommen.“

 

Die Gemeinsamkeit – das Miteinander und nicht das Gegeneinander. Für Michael Raab steht das beim Sport und vor allem bei seinen organisierten Events im Vordergrund. Beim „Zugspitz-Gipfelsturm“ und sowieso beim „Run for hope“, der wieder am 10. September zu Gunsten der Special Olympics am Feringasee stattfindet. Und natürlich beim „Bavaria Königsmarsch“ – der 50 Kilometer langen Wanderung um den Starnberger See. Seit 2013 findet der stets im Juni um den Todestag von König Ludwig II. statt. Start ist um 20 Uhr, Ankunft ab 8 Uhr am nächsten Tag. Gelaufen wird möglichst in Tracht. Beim ersten Mal war der  Organisator noch allein mit zwei anderen Teilnehmern am Start. Längst sind die 300 Teilnehmerplätze im Voraus ausgebucht. „Eine klassische Landpartie“ nennt Michael Raab die, wenn auch flotte Wanderung, „weg von der Facebook-Bespaßungs-Konsumgesellschaft“. Denn nachts bleiben die Handys im Rucksack. Es wird viel miteinander geredet und natürlich auch eingekehrt.

 

„Ich suche die Herausforderung“

 

Beim Gröbenzeller Familienlauf ist der vereinsfreie Sportler („Ich würde es niemals zu den Trainingszeiten schaffen“) natürlich dabei. Und auch sonst ist der Terminkalender gut gefüllt. Seine Lebensgefährtin verdreht bei Urlaubsplanungen die Augen. Weil es immer irgendwo hin geht, wo ein Rennen stattfindet. Selbst vor Jahren auf Mauritius. Gerne hätte Michael Raab jedoch wieder mehr Zeit für seine anderen Hobbys: Golfspielen und Surfen und Rennrad fahren, und dann fällt ihm gleich der Brevet Paris–Brest–Paris (PBP) Fahrradmarathon ein, der mehr als 1200 Kilometer lang ist und … er bricht seine Aufzählung ab und grinst: „Heuer wird erst mal geheiratet.“

 

„Auch wenn ich schon viel erreicht habe, es gibt noch so viel Neues zu entdecken und einzigartige Abenteuer zu erleben; Ziele, Träume und am Ende garantiert auch immer mit einem Lächeln finishen.“

 

 

 

Gerichte mit Geschichte

Gerichte mit Geschichte

Menschen im Landkreis

Menschen im Landkreis