Loders Welt
In erster Linie ist Florian Drechsler Taxifahrer aus Berufung. In seiner gemäß den Bestimmungen in der amtlichen RAL-Farbe 1015 (Hell-Elfenbein) lackierten Toyota-Droschke (der einzigen dieser Marke in der Kreisstadt, Kennzeichen FFB-DF 57) wartet er an den fünf größeren offiziellen Standplätzen in Fürstenfeldbruck (Hauptstraße, Bahnhof, Viehmarktplatz, Krankenhaus und Geschwister-Scholl-Platz) auf Kundschaft. Die zweite Leidenschaft des 36-Jährigen ist Handball. Noch vor zwei Jahren war er als Schiedsrichter in der 2. Bundesliga unterwegs. Nach dem hochklassigen Karriereende mit Pfiff ist Drechsler nun in die Rolle eines Edelfans der ebenfalls in die 2. Bundesliga gekletterten Brucker TuS-Panther geschlüpft. Eigentlich wollte er mit ein paar Hardcore-Sportspezln die Schlachtenbummler-Touren zu den Auswärtsspielen bis hinauf in den hohen Norden organisieren. Doch wegen der corona-bedingt verordneten Geisterkulissen fallen diese Vorhaben erst mal flach („Wir sind tieftraurig darüber“).
Genauso auf Eis gelegt ist Drechslers drittes Standbein als Bierzeltkellner. Normalerweise schleppt er in dieser Jahreszeit konditionell in Top-Form die Maßkrüge durch die Gerstensaft-Hochburgen. Lederhose, Trachtenhemd und Haferlschuhe bleiben im Kleiderschrank. Im Gegensatz zu den Kollegen, die den Job hauptberuflich erledigen, kommt der „Aus-Spaß-an-der-Freud‘“-Kellner finanziell zwar glimpflich davon („Ich jammere da auf hohem Niveau“), blickt aber mitfühlend auf seine bedienenden Weggefährten, für die das Wiesn-Aus ein traumatisches und existenzgefährdendes Erlebnis sei.
Es gibt aber auch Gewinner der Corona-Krise. Arno Kuchenreiter gehört zu ihnen, weil er Anfang April zu Beginn der Pandemie in Bayern einen Geistesblitz hatte. „Die Idee ist mir in der Nacht gekommen und wurde gleich am nächsten Morgen in die Tat umgesetzt.“ Weshalb für den 48-Jährigen eine Anti-Virus-Maske alles andere als ein Albtraum ist. Kuchenreiter fabriziert unter dem Markenzeichen „Virologo“ bedruckte Mund-Nasen-Masken, deren Motive sich der Kunde ganz individuell gestalten lassen kann.
„Wer mag, bekommt auchdie Schwiegermutter drauf.“
Mittlerweile hat Kuchenreiter, zu dessen Kunden auch die Erdinger Therme und der FC Bayern gehören, 600 Quadratmeter Stoff verarbeitet – und gleichzeitig als Auftraggeber die Krise in vier Nähereien in der Region etwas gelindert. Zwischen zehn und 15 Euro kostet der Kult-Maulkorb bei dem in Gröbenzell aufgewachsenen, aber wegen seiner Gastro-Zeit als kultiger Betreiber des Brameshuber und Shakes Beer mittlerweile als Ur-Brucker durchgehenden Arno. Die Masken-Produktion hat er bereits weitschauend bis 2025 festgesetzt. Zur Befestigung hinter den Ohren hat er dazu anfangs – weil der Gummizug-Markt leer gefegt war – zugeschnittene Fahrradschläuche verwendet. Kuchenreiter hatte als Jugendlicher in München die damals große, heute fast ausgestorbene Kunst des Schriftenmalens gelernt. Längst ist er als Werbetechniker sein eigener Chef.
Wer in einer der drei größten regionalen Facebook-Gruppen surft, scrollt an Claus Bender nicht vorbei. Ob in Olching, Maisach oder Fürstenfeldbruck: Der 53-Jährige ist in einer 24-Stunden-Dauerschleife an 365 Tagen im Jahr immer online. Muss er auch, ist ja quasi sein Job. Bender ist der vielbeschäftigste Administrator weit und breit. Ein Administrator (kurz Admin) balanciert in der Doppelrolle als Admiral und Minister die Verwaltung der Gruppen, achtet auf die Einhaltung der Regeln, verpasst Maulsperren, verhängt oder cancelt Blockaden und ermuntert mit eigenen Diskussionsbeiträgen die User zu Kommentaren. Von Letzterem lebt eine Gruppe. Und die drei Bender-Communitys gelten als besonders debattierfreudig. Weshalb der in Pasing geborene und in Olching aufgewachsene hauptberufliche Buchhalter stets auf Draht sein muss. Und das liegt nicht nur daran, dass die vom Gesetzgeber und auch von Facebook vorgegebenen rechtlichen Grundlagen zu beachten und kontrollieren sind. Klingt nach einem Riesenaufwand, „doch das sieht nur so aus“, sagt Bender, der nach eigenen Angaben in täglich 60 auf 24 Stunden verteilten Minuten mit der Admin-Tätigkeit beschäftigt ist. Zugute kommt dem Hobbyfotografen dabei, dass er sowohl lokalpolitisch als auch historisch und allgemeinwissend up to date ist. Die Ehefrau, gesteht der seit 2008 in Gernlinden lebende Bender, sei zwar „nicht so begeistert“ von seiner vierfachen Admin-Tätigkeit (zu den drei Gruppen kommt noch die von ihm gegründete Fotofreunde-FFB-Community). Doch nachdem die Gattin mittlerweile ebenfalls online mit Hundegeschichten des vierbeinigen Familienzuwachses „Lona“ beschäftigt ist, hat sich die Sache mit dem schief hängenden Facebook-Haussegen auch wieder begradigt. Und trotz der viel zitierten Anonymität im Internet ist Bender aufgefallen: „Ich werde mittlerweile beim Einkaufen von Leuten gegrüßt, die ich gar nicht kenne.“