Warum ich kein Organspender bin
Aufgerüttelt hat mich ein Stand auf dem Kirchentag in Dresden 2011: eine kleine Initiative von Eltern, deren verstorbenes Kind Organspender war. Eine Mutter erzählte, wie sie das Gesicht ihres toten Sohns nach der Organentnahme nicht mehr loslässt. Es war ein von Schmerzen verzerrter Ausdruck puren Entsetzens. Daraufhin recherchierte sie und förderte einige Wahrheiten zu Tage, die in den Organspende-Kampagnen nicht erwähnt werden.
Eine wesentliche Tatsache: Wer ein Organ spendet, darf nicht tot sein. Als Organspender kommen vor allem gesunde Menschen in Frage, die nicht bei Bewusstsein sind und keine Aussicht auf Genesung haben. 1968 wurde in der Harvard Medical School dafür der Begriff „Hirntod“ definiert. Ein extrem seltener Spezialfall, der in der Praxis vor allem bei schwerverletzten Verkehrsopfern eintritt – eben meist Motorradfahrer, bei denen lebensgefährliche Schädel- und Halsverletzungen häufig sind.
Weil nach der Hirntod-Definition der Patient „eigentlich tot“ ist, wird die Organentnahme in Deutschland ohne Narkose durchgeführt. Menschen, die im Koma lagen, berichten, dass sie trotz „totem Hirn“ entsetzliche Schmerzen spürten – nur schreien oder bewegen konnten sie nicht. Während der stundenlangen Entnahme mehrerer Organe muss der Spender am Leben gehalten werden. Wie viel er dabei spürt? Ein Thema, über das Mediziner ungern reden.
„Es gibt zu wenig Organspender“ lautet die Klage von Medizinern und Politikern. Hätte jeder Deutsche einen Spenderausweis, ließe sich die Zahl der Spender von derzeit 16 pro Million Einwohner auf 40 steigern. Doch selbst das wären immer noch zu wenige. Es wird niemals genügend Spender geben. Zum einen, weil der Hirntod sehr selten ist, und weil es nach einer Transplantation oft Komplikationen gibt. Die Abstoßungsreaktionen, die mit vielen und teuren Medikamenten unterdrückt werden müssen, zerstören auf Dauer auch das Spenderorgan. In Österreich, wo von Gesetz wegen fast jeder Organspender ist, gibt es etliche Patienten mit der dritten oder vierten Spenderniere.
Es ist ein dramatisches Problem, dass wohlhabende Patienten (oder solche mit guten Beziehungen) medizinisch besser versorgt werden. Durch die Transplantationsmedizin wird das verstärkt. Im Hintergrund lauert das Gespenst des Organhandels. Man weiß, dass China jahrzehntelang mit den Organen von zum Tod Verurteilten einen einträglichen Handel betrieben hat.
Organspende ist, denke ich, ein Provisorium. So wie viele Methoden der Geschichte der Medizin. In den 1940er-Jahren gab es Herzoperationen mit Spenderkreislauf: Meist stellte ein Elternteil seinen Kreislauf zur Verfügung, damit das Herz des Kindes operiert werden konnte. Eine grausame Praxis, da bei dem gefährlichen Eingriff beide sterben konnten, auch der gesunde Patient. Was für ein Segen, als 1953 die Herz-Lungen-Maschine einsatzreif war.
Ich stelle mir vor, wie Mediziner eines Tages auf die grausame Praxis unserer Zeit zurückblicken werden, als wir die Körper Sterbender ausgeweidet haben. Hoffentlich beendet der medizinische Fortschritt diese Ära möglichst bald. Es ist mir unverständlich, dass es viele moralische Bedenken gegenüber der erfolgversprechenden Technik gibt, Ersatzorgane gentechnisch zu züchten. Aber kaum einen Aufschrei über die Praxis der Organentnahmen.
Auf Organspenden beruhende Medizin ist vergleichsweise ein kleines Spezialgebiet: Knapp 2800 Transplantationen gab es 2017 in Deutschland. Im selben Jahr starben über 200 000 Menschen an Krebs. Wie viele von ihnen hätten mit geringem Aufwand gerettet werden können, etwa durch gesündere Lebensweise!
Es muss furchtbar sein, als Dialysepatient auf eine Spenderniere zu warten, oder als dem Tod Geweihter auf ein Spenderherz. Niemals würde ich einem Kranken einen Vorwurf machen, dass er mit dem Organ eines anderen Menschen lebt. Aber ich persönlich möchte keine Organe empfangen und auch kein Organspender sein. Ich könnte nicht mit der Vorstellung leben, dass das fremde Organ in meinem Körper Resultat eines Eingriffs an einem Menschen ist, der einer Folter gleichkommt.
Als Theologe bin ich außerdem hellhörig für moralisch unzulässige Argumente. In der Werbung für den Organspenderausweis heißt es zuweilen „Menschen sterben, weil sich nicht genügend Organspender finden“. Das ist unwahr. Ein Mensch stirbt, weil seine Niere, seine Leber oder sein Herz lebensbedrohlich erkrankt war. Nicht, „weil“ sich kein Spender fand.
Werner Tiki Küstenmacher, 65, ist gelernter evangelischer Pfarrer und Buchautor („simplify your life“, „Limbi“). Er lebt mit seiner Frau in Gröbenzell, die beiden haben drei erwachsene Kinder. Am 9. Dezember ist Küstenmacher um 10 in Bayern 1 zu hören (Evangelische Morgenfeier) und am 24. Dezember um 10 in Bayern 2 (Notizbuch). Kritische Infos zu Transplantationen gibt es bei initiative-kao.de oder gegoogelt unter „2013 03 Manzei“.