Der Freiheitskämpfer mit dem spitzen Stift
Manche würden ja behaupten, er sei ein verhinderter Kirchenmaler, scherzt Guido Zingerl. Nicht, weil er gelegentlich Bibelzitate ins Bild setzt oder mal den janusköpfigen Luther (nicht sehr vorteilhaft) porträtiert hat. Sondern weil er seit Jahrzehnten mit Blattgold arbeitet, ein Werkstoff, den man auch von Ikonen und Altären kennt. Nur hat der überzeugte Atheist mit der Kirche nicht viel am Hut. Zu den Fratzen, die seine Bilder bevölkern, gehören immer wieder feiste Gesichter, die aus einem schwarzen Talar hervorlugen. Und eher als vom lieben Gott spricht er von der „modernen Hölle, in der wir leben.“ 2018 feierte der frühere Kunstpreisträger des Landkreises seinen 85. Geburtstag.
Der gebürtige Regensburger nennt denn auch Hieronymus Bosch, den Schöpfer des „Weltgerichts“ mit seinen spukhaften, dämonischen Figuren, einen Seelenverwandten. Aber künstlerische Vorbilder hat er nicht. Tatsächlich ist Zingerls Stil einzigartig: Gebrochene Perspektiven, verfremdete Städte und Landschaften, groteske Gestalten. Nur das große Thema eines sozialkritischen Künstlers, der eine Zeitlang auch Kommunist war, ist immer unverkennbar: Der Mensch als Opfer von Ausbeutung, Irrglauben und Gewalt. Ist das große Kunst? Aber sicher, sagt der Maler. Wer nicht an sich und sein Werk glaube, müsse aufhören.
Karge Striche mit deutlicher Aussage
Aber es gibt auch einen anderen Zingerl. Den, der seine geliebten Berge zeichnet, wenngleich nicht ganz nach der Natur und weniger tauglich für einen Platz im Goldrahmen über dem Sofa. Und es gibt den Karikaturisten mit den kargen Strichen, aber einer immer deutlichen Aussage. Diese wie hingeworfenen Bildchen, ob für die Alpenvereins-Zeitschrift oder für Lokalzeitungen, halfen ihm auch immer, sich finanziell über Wasser zu halten. Denn der wirtschaftliche Erfolg lief ihm nicht nach, das Geld verdiente seine Frau Ingrid, mit der er über 50 Jahre verheiratet ist.
Dabei hatte das Eisenbahnerkind was Gescheites gelernt. Nach dem Diplom als Maschinenbauingenieur arbeitete er schon an seiner Dissertation über das Brandverhalten von Holz, ehe er von heute auf morgen alles hinwarf und beschloss, Maler zu werden. 58 Jahre ist das her und nach seinen Worten hat er es nie bereut, auch wenn er anfangs als Hilfsarbeiter oder Lasterfahrer den neuen Beruf finanzieren musste und sogar mal bei einem Metzgerssohn eine Strauß-Karikatur gegen Wurstwaren eintauschte. „Ich bin glücklich seitdem“, sagt er. Nach wenigen Jahren nahm er seinen Künstlernamen an, auf den ihn nach ein paar Bier auf einer Hütte seine Bergspezln in Anlehnung an einen angeblichen Tiroler Freiheitskämpfer getauft hatten. Als gebürtiger „Heini Scholz“ hätte er wahrscheinlich auch eher Schlagersänger werden müssen.
Viele Spießer und wenige Intellektuelle geben den Ton an
Aber Freiheitskämpfer und unbequem war er tatsächlich immer. Auch in seiner Zeit in der DKP wurde er wegen anstößiger, keineswegs dem sozialistischen Realismus verpflichteter Zeichnungen kritisiert. Die Künstler in der Kommunistischen Partei seien eher „Hofnarren“ gewesen, so recht traute man solchen Freigeistern nicht über den Weg. Aber auch in Bruck, seiner Wahlheimat seit 1979, und in Umgebung blieb die Anerkennung lange aus. In der Stadt habe halt „so eine Handwerker-Kaste das Sagen“, viele Spießer und wenig Intellektuelle gäben den Ton an, findet er. Immerhin: Der Oberbürgermeister, ein beliebtes Objekt für seine Karikaturen, hielt zum 80. Geburtstag eine nette Rede und heute hängen Zingerls in der Stadtbücherei und im Landratsamt. Erst im hohen Alter verkaufen sich seine Bilder. Man müsse den Leuten halt lang genug auf die Nerven gehen, witzelt Zingerl.
Aber altersmilde ist er nicht geworden, eher ein wenig resigniert. Sein neues Thema – mit den alten Motiven – ist die Welt als ein einziger Markt, die unbeschränkte Herrschaft des Kapitals und der „Geldkrebs“ in den Herzen und Hirnen. Aber gleichzeitig sagt er: „Eine Botschaft hab' ich schon lange nicht mehr. Es hilft eh nichts, der Mensch hat sich seit der Steinzeit nicht geändert.“ Dennoch malt er weiter in seinem 25-Quadratmeter-Atelier, wenn er nicht mit Kater Kalle und seiner Frau im schon etwas verwilderten Garten sitzt. Auch sie hat nicht aufgegeben: „Wir werden weiter kämpfen, auch wenn die Kräfte weniger werden“, schrieb sie ihm zum Fünfundachtzigsten. „Das ist Lebensglück.“ Christoph Bergmann
Als Heinrich Scholz wurde Guido Zingerl am 19. Januar 1933 in Regensburg geboren. Weil er am Gymnasium nur beste Zensuren hatte, versuchten seine Lehrer, den hochbegabten Schüler für den Beruf eines Kunstlehrers oder Mathematikers zu interessieren. Er entschied sich jedoch für ein Maschinenbaustudium in München und wurde Diplom-Ingenieur. Seine Dissertation am Institut für Holzforschung brach er jedoch plötzlich ab. Seit 1960 ist Guido Zingerl freischaffender Maler, Zeichner und Karikaturist. Seine erste Ausstellung in Regensburg war bereits 1961. Seit seinem Umzug nach Fürstenfeldbruck gehört er der Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck an und war lange im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft „Haus 10“ sowie im Schutzverband Bildender Künstler (im DGB). Als überzeugter Marxist gründete er 1968 die DKP mit und ging in den Parteivorstand. Enttäuscht trennte er sich später von der Partei. Seit 1962 ist Guido Zingerl in der Gewerkschaft Kunst. 1987 kandidierte er für die Friedensliste für den Bundestag. Seine Geburtsstadt Regensburg ehrte ihn zum 75. Geburtstag mit einer großen Retrospektive. In seiner Wahl-Heimatstadt tritt er jedoch öffentlich selten in Erscheinung. Zum 80. Geburtstag veranstaltete die Stadt Fürstenfeldbruck eine große Retrospektive im Rahmen des Jubiläumsprogramms „750 Jahre Fürstenfeld“. 2013 erhielt Guido Zingerl die Jubiläum-Medaille Fürstenfeld sowie den Kulturpreis der Stadt Regensburg für sein Lebenswerk. Die Süddeutsche Zeitung nominierte ihn 2018 für den Tassilo Kulturpreis.