Gemeinsam und nie einsam

Gemeinsam und nie einsam

Fotos: Simon Katzer Text: Petra Neumaier

 

Eines Tages waren die Kinder ausgezogen. Ihre Zimmer waren leer und allenfalls noch mit Erinnerungen gefüllt, die sich in verwaistem Mobiliar und verstaubtem Krimskrams widerspiegelten – (das sie natürlich längst abholen wollten, nur „grad passt es nicht, das nächste Mal, versprochen!“). Viel zu groß ist jedenfalls das Heim, zu viel Arbeit macht der Garten. Was tun? Umzug ins Seniorenstift? So alt fühlt man sich auch wieder nicht und überhaupt. Nein! Das dachte sich auch eine Handvoll Olchinger und sie entwickelten für sich (und andere) eine ideale Lösung: Das Genossenschaftsprojekt „WohnGUT“. Unter dem Motto „Gemeinsam wohnen. Gut leben“ ist in dem Mehrgenerationenhaus seit fast zwei Jahren eine bunte Mischung an Menschen von jungen Familien bis zu Senioren zuhause. Ein beispielhaftes Projekt im Landkreis.

Mit viel Liebe und Verstand pflanzten die Bewohner wunderschöne Gärten an: eine Augenweise sind die nach nur einem Jahr schon. In Hochbeeten gedeihen zudem Salat und Gemüse.

Der Blick von der Dachterrasse schweift in die Ferne. Weit über die Baumwipfel hinweg, die sich wie ein Teppich ausbreiten und in denen der Wind rauscht. An klaren Tagen sind von hier oben die Alpen zu sehen, in der Nacht die leuchtenden Sterne. Insekten summen zwischen den angepflanzten Blumen, Vögel zwitschern, nur ab und zu dezent unterbrochen von dem Motor eines Fahrzeugs – obwohl die stark befahrene Münchner Straße ganz nah ist. Und dann ist da ja auch noch im Garten der große Weiher, mit dem Steg! und unzähligen schönen Seerosen, zwischen denen ein paar Wasserschildkröten und viele große Fische gleiten. Was für ein schöne Fleckchen Natur!

 

„Wir wollten nicht erst warten, bis wir alt werden, sondern lieber früher als später etwas schaffen, wo wir alt werden können“, erklärt Johanna Anderer.

Die Augen von Johanna Anderer strahlen, in welche Richtung sie auch immer blickt. Ob in die Natur oder auf das Haus. Und sie zeugen vom Glück eines Menschen, der eine Vision verwirklicht hat, die über zehn Jahre nur auf dem Papier stand. „Es ist ein wunderbares Gefühl, das mich und alle anderen sehr stolz macht“, sagt sie dann. Die Architektin und ihr Mann Michael, die sich schon früh mit dem Gedanken „was-wenn-die-Kinder-aus-dem-Haus-sind“ beschäftigten, waren ja bei der Gründung der Genossenschaft 2013 nicht allein: Sechs bis acht Olchinger waren mit ihnen, nach Bekanntwerden wurden es rasch 20: allesamt älteren Semesters, die ein Mehrgenerationen-Projekt erschaffen wollten – auch für Familien und junge Erwachsene.

 

Die Grundstückssuche war nicht einfach. Angedacht war zunächst das Gut Graßlfing, dann ein Grundstück im Baugebiet Schwaigfeld. Erst 2015 bekam die Genossenschaft von der Stadt grünes Licht für ein Areal in Erbpacht: 2400 Quadratmeter Brachfläche, am Rand des Gewerbegebietes und an der vielbefahrenen Münchner Straße! So wenig attraktiv sich der Standort liest – er hätte nicht besser sein können. Als „Sahnestückchen“, bezeichnet die Architektin die ehemalige Öde: Günstige Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke, Grün drum herum – und dank des städtischen großen Blocks, der an der Straße vorgelagert werden sollte und nun den Autolärm schluckt, auch absolut ruhig. Mit viel Vorleistung entwickelte das Architektenpaar mit der Genossenschaft schließlich das Projekt unter Einbeziehung der Wünsche der Mitglieder und bis zur Genehmigung. 2020 wurde gebaut:

 

31 Wohnungen mit ein- bis maximal vier Zimmern (für Familien) und nur so groß wie nötig – zum Wohnen, Schlafen und Kochen. Ein barrierefreies Bad gibt es ebenfalls. Besuch kann im Gästeappartement übernachten; fürs Home-Office gibt es ein Gemeinschaftsbüro; Feiern geht im Souterrain: Im Gemeinschaftsraum mit Küche, Lese- und Spieleecke, Kicker und Beamer für Fußballabende in nachbarlicher Gesellschaft.

 

Die Gemeinsamkeit ist im WohnGUT Programm, aber kein zwingendes Muss (Johanna Anderer: „Wer seine Ruhe haben will, kann sie haben“). Die meisten Bewohner schätzen sie jedoch sehr und tragen selbst zu den Angeboten bei: einmal in der Woche leitet eine Frau Yoga an, eine andere stellt einmal im Monat ein Buch vor. Gemeinsame Spieleabende werden organisiert, Omas und Opas basteln mit Kindern im angrenzenden Atelier: die Werkbank, Werkzeuge und Materialien sind wie vieles andere Spenden der Bewohner und aus ihren ehemaligen Wohnstätten.

 

Langweilig wird es im WohnGUT jedenfalls bestimmt nicht. In Arbeitsgruppen, wie „Garten“, „Belegung“ und „Technik“ kann man sich einbringen („was auch gewünscht ist“). Auf einem Flipchart sind die aktuellen „To-Do‘s“ eingetragen und viermal im Jahr treffen sich alle zum Ramadama. Entstanden ist dieses Konzept während der Bauzeit, die genau in dem Corona-Lockdown fiel. In vorschriftsmäßigem Abstand trafen sich damals die künftigen Hausbewohner, um die Baustelle aufzuräumen, die Grob- und später die Feinreinigung zu erledigen. „Über diese Arbeiten bildete sich bereits eine tolle Gemeinschaft“, erzählt Johanna Anderer begeistert. „Außerdem sparten wir mit der Eigenleistung rund 10 000 Euro.“

 

Apropos Kosten: Obwohl das Gebäude hochwertig und energetisch ausgestattet ist, wurden trotz Corona und Materialknappheit die finanziellen Schätzungen nicht überschritten. Darüber sind die Architekten, die jeden Tag auf der Baustelle nach dem Rechten sahen, besonders glücklich. Auch die Bauzeit wurde eingehalten: Pünktlich am 15. Dezember 2021 zogen Kathrin und Tochter Marie Wellinghausen mit ihren Meerschweinchen ein. Die anderen folgten – immer nur zwei Parteien an einem Tag: „So kam sich niemand in die Quere und wir vermieden Stress und Staus.“

Ein absolutes Kleinod ist der schöne Weiher mit seinen Wiesen drum herum, Steg und Hütte, direkt angrenzend an das Grundstück der Genossenschaft.  

Ein paar Kinder springen auf dem Trampolin, andere buddeln im Sand. Davor sitzen Eltern und ältere Mitbewohner. Es wird gelacht, Erziehungstipps werden ausgetauscht, es wird diskutiert. Das Leben und die Lebendigkeit in und um das Haus freut Johanna Anderer unbandig. „Genauso habe ich es mir gewünscht. Und so möchte ich alt werden.“

 

WohnGUT Olching ist ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt, mit dem eine nachhaltige Lebensplanung genossenschaftlich umgesetzt wird.

Anzahl der Wohnungen: 31

Größe: 45 bis 100 Quadratmeter (ein Drittel der Wohnungen werden gefördert)

Gemeinschaftsflächen: ein Gästeapartment, ein Büro, ein Gemeinschaftsraum und eine Kreativwerkstatt, Garten, Kinderspielplatz, Riesentrampolin

Heizung/Energie: Fernwärme, Solaranlage angedacht

Stellplätze: Tiefgarage (Plätze reduziert, weil Car-Sharing Angebot und Lastenräder im und Bushaltestelle vor dem Haus) 

 

Prinzip der Wohnungsbaugenossenschaft

Dauerhaftes und vererbbares Wohnrecht; keine Gewinnorientierung, Mitbestimmung über das Wohnhaus; das allgemeine Mietrecht gilt uneingeschränkt; keine Aufteilung in Wohneigentum; Schutz der nachbarschaftlichen Beziehungen

 

Derzeit sind alle Wohnungen zwar besetzt, es ist jedoch nach wie vor möglich, Mitglied in der Genossenschaft zu werden und sich auf eine Warteliste setzen zu lassen. Informationen unter

www.wohngut-olching.de oder auf dem Infoabend am Donnerstag, 19. Oktober, um 19.30 Uhr im Gemeinschaftsraum des Hauses.

Handwerkskunst aus schreinerhand

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