Von Maisaha nach Maisach
Fotos: Corinna EIchberger-Renneisen, Text: Christoph Bergmann
Maisach ist heute eine moderne, aufstrebende Gemeinde, aber eigentlich hat sie einen Titel als archäologische Goldgrube verdient. Denn kaum anderswo im Landkreis wurden bei Baumaßnahmen derart viele uralte Siedlungsspuren entdeckt wie im Hauptort Maisach selbst und im benachbarten Gernlinden. Längst ist Maisach eine aufstrebende Gemeinde mit vielfältigen Angeboten – und zukunftsweisenden Planungen.
Schon beim Flugplatz-Bau 1935, aber auch später noch stießen die Historiker auf Gräber aus der Bronzezeit um 2000 vor Christus, darunter die berühmt gewordene letzte Ruhestätte einer mutmaßlichen Priesterin oder Schamanin in Gernlinden, die mit einer Halskette aus Schneckenhäuschen bestattet worden war. Noch vor dem Krieg wurde ebenfalls in Gernlinden einer der größten Friedhöfe Bayerns aus der 1000 Jahre später verbreiteten Urnenfeld-Kultur freigelegt. Es folgten ein großes Dorf aus der Hallstattzeit im heutigen Gewerbegebiet an der Frauenstraße mit mindestens 55 Häusern und zwölf Brunnen, das über zwei Jahrhunderte bis zum Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung bestanden haben muss. Noch größer (67 Häuser) war die Siedlung der danach kommenden Kelten, deren Entdeckung ebenfalls moderner Maisacher Wirtschaftsförderung und der Erweiterung eines weiteren Gewerbegebietes an der Gernlindener Ganghoferstraße zu verdanken war.
Die Gunst der Lage zog offensichtlich auch die Römer an, wenngleich sie nur ein – allerdings luxuriös ausgestattetes – Landhaus in Lindach hinterlassen haben. Schließlich fanden auch die ersten bajuwarischen Siedler den Weg an das Flüsschen Maisach. Ihr hinterlassenes Gräberfeld datiert auf das späte sechste oder frühe siebte Jahrhundert nach Christus. Das ursprüngliche „Maisaha“ dürfte also wesentlich älter sein als die 800 Jahre, die 2006 zum Jubiläum der ersten schriftlichen Erwähnung ausgiebig gefeiert wurden.
Danach aber wurde es stiller um das Bauerndorf, das im Hochmittelalter wohl noch ein örtliches Adelsgeschlecht kannte, aber die Jahrhunderte darauf zum größten Teil dem Kloster Ettal gehörte. Wenn Maisach noch in den Annalen auftaucht, dann wegen Brandschatzungen durch Auswärtige. So 1322 durch Leopold von Österreich, der seinen Bruder Friedrich im Thronfolgestreit mit Ludwig dem Bayern unterstützt hatte. Genau 100 Jahre später waren es Ingolstädter Truppen, die beim Vormarsch auf München im innerbayerischen Krieg eine Spur der Verwüstung hinterließen. 1632, im 30-jährigen Krieg, wurde Maisach von den Schweden geplündert, 1704 von Österreichern im spanischen Erbfolgekrieg abgefackelt.
Den allmählichen Aufbruch in die Moderne brachte erst die Eisenbahn. Schon 1839 wurde der Ort zwar zum Haltepunkt, aber erst um die folgende Jahrhundertwende erlebte das Bauerndorf merklichen Zuzug in die ersten, noch kleinen Wohngebiete. In den Jahren nach 1900 war Maisach die Gemeinde mit dem größten Bevölkerungszuwachs im Landkreis. Das damals angesagte Leben „auf dem Land“ und erschwingliche Grundstückspreise zogen Kleinbürger und vielleicht auch erste Arbeiter an.
Ähnlich und doch ganz anders verlief die Entwicklung im schon immer zu Maisach gehörenden Gernlinden, das seit dem Mittelalter nur aus einem einsamen Bauernhof bestand – und heute mehr Einwohner zählt als die meisten Gemeinden im westlichen Landkreis. Ab 1898 bekam die Einöde aus heute unbekannten Gründen eine Bahnstation, die zwar nur aus einer Wellblechhütte bestand. Ein Gastronom baute nebenan aber eine Wirtschaft für die zunehmende Zahl von Münchner Ausflüglern ins Grüne. Als eigentlicher Gründer Gernlindens gilt freilich Graf Hans von Toerring-Jettenbach, der den Hof 1908 kaufte und zu einem modernen Gutsbetrieb ausbaute. Seine Baumschule lieferte noch 30 Jahre später Jungpflanzen nach ganz Deutschland. Toerring plante außerdem auf seinen ausgedehnten Ländereien eine „Villenkolonie“ für wohlhabende Stadtflüchtige. Das Vorhaben konnte vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr verwirklicht werden, danach aber entstanden zunächst Siedlerhäuschen mit großen Gärten zur Selbstversorgung für Kriegsveteranen, später auch für andere Neubürger, Flüchtlinge und Vertriebene. Gernlinden blieb lange Zeit eine Besonderheit im Landkreis als Ort ohne wirkliche landwirtschaftliche Vergangenheit, auch als Hochburg der SPD bei Wahlen. In Maisach selbst – so zumindest die Legende – waren die zugezogenen „Kleinhäusler“ lange Zeit nicht wohlgelitten.
Vom größten Bauprojekt aller Zeiten im Landkreis, obwohl zum größten Teil auf Maisacher Flur, blieb die Gemeinde merkwürdig unberührt. Zwar wurden für den Flugplatz und die Luftkriegsschule örtliche Grundeigentümer genötigt, ihre Flächen abzutreten, zwar wurden beim Luftangriff auf den Fliegerhorst im April 1945 auch Häuser in Gernlinden zerstört, zwar mussten sich die Menschen im Düsenjet-Zeitalter an erheblichen Lärm gewöhnen. Aber bis auf ein Gleis vom Maisacher Bahnhof wurden die Militärs allein von Bruck aus versorgt, dort verbrachten auch die angehenden Piloten und späteren Offiziersschüler ihren Feierabend.
Erst als die Luftwaffe in den 1990er Jahren die Haupt-Start- und Landebahn aufgab, wurde das Gelände zum großen Thema. Die bayerische Staatsregierung hatte nämlich beschlossen, die „Zivilflieger“ – Hobby-Piloten und Geschäftsreisende in kleineren Maschinen, die ihren bisherigen Stützpunkt in Neubiberg verloren hatten – auf den verlassenen Flugplatz umzusiedeln. Die Gemeinde sperrte die einzig mögliche Zufahrt zum langsam berühmt werdenden „Tor 6“ für den Kfz-Verkehr und setzte sich mit juristischer List, aber auch guten Argumenten in mehr als einem Dutzend Verwaltungsgerichtsverfahren durch. Die Zivilflieger konnten so zwar einen Container als Aufenthaltsraum und Tower aufstellen, kamen aber nur zu Fuß oder eben auf dem Luftweg auf das Gelände. Als Maisach dann andere mögliche Nutzer fand – einen Investor, der hier eine Trabrennbahn bauen wollte, und vor allem das bayerische Weltunternehmen BMW für ein Fahrsicherheitstraining – verloren die kleinen Flieger ihren Rückhalt in der großen Politik. Der Daglfinger Trabrennverein selbst hatte allerdings nie Interesse an einem Umzug nach Maisach und BMW hat seine Schuldigkeit getan. Nach den derzeitigen Überlegungen soll der örtliche Sportclub mit seinem Fußballplatz auf das Gelände umziehen.
Das wahrscheinlich wichtigste Jahr der jüngeren Vergangenheit war für Maisach und Umgebung aber 1978. Mit der Gebietsreform wuchs die Gemeinde auf fast 54 Quadratkilometer zur flächengrößten im Landkreis. Der damalige Maisacher Bürgermeister Gerhard Landgraf erzählte später gerne, wie er die Kollegen aus Germerswang, Malching, Rottbach und Überacker bei einem opulenten Mahl und reichlich Schnäpsen im Bräustüberl von der Fusion überzeugte. Vermutlich musste etwaige Skepsis gegen die Eingemeindungen aber gar nicht im Alkohol ertränkt werden, von heftigem Widerstand wie im benachbarten Esting ist damals wie auch danach nichts bekannt geworden. Kleiner Schönheitsfehler: Der Malchinger Ortsteil Lindach kam zwar mit nach Maisach. „Neu-Lindach“ mit dem schon existierenden Gewerbegebiet und dem alten „Sommerkeller“ der Brauerei, in dem sich im 19. Jahrhundert die Sozis heimlich getroffen hatten, wurde aber Bruck zugeschlagen.
Maisach hat seitdem 24 Gemeindeteile, darunter sieben Weiler mit dem ehemaligen Hinrichtungsort Galgen und sechs Einöden, wobei das kleine Anzhofen beim jährlichen Kunstmarkt alles andere als einsam wirkt. Die Gemeinde, vor allem der Hauptort mit Gernlinden, ist seit den 1990er Jahren wieder stark gewachsen und zählt heute über 14 000 Einwohner. Besondere Freizeitangebote wie Golfplatz oder Freibad gibt es auch noch anderswo, auch ein renommiertes Landgasthaus wie in Rottbach ist kein Alleinstellungsmerkmal. Nur Groß-Maisach allerdings hat drei S-Bahn-Stationen und ebenso viele Telefon-Vorwahlen. Einzigartig sind aber auch die freilaufenden „Heckrinder“ im Fußbergmoos, eine Rückzüchtung Richtung Auerochse. Und natürlich die immer noch keiner Kette gehörende Privat-Brauerei, die sich seit dem 16. Jahrhundert erst gegen örtliche Weinwirtschaften und bis heute gegen wesentlich größere Konkurrenz behauptet hat.