Der Irrtum mit der Ewigkeit
In den Kirchen ist an Ostern viel von der Auferstehung Jesu die Rede – aber nur wenig davon, was genau uns nach dem Tod erwartet. Kein Wunder, dass viele fasziniert sind von den Erzählungen der Menschen, die klinisch tot waren und so genannte Nahtoderfahrungen gemacht haben. Das geschah schon in der Antike und weit davor. In einigen Kulturen wurde es sogar bewusst herbeigeführt: Menschen haben das Sterben am eigenen Leib erforscht.
Woher wissen wir etwas vom Tod? Ich bin überzeugt, dass unsere Vorstellungen vom Jenseits von solchen Nahtoderfahrungen geprägt sind (die sich übrigens verblüffend ähneln). Der Sterbende wird fast immer überflutet von Bildern, dem so genannten Lebensfilm. Das ganze Leben läuft noch einmal im Schnelldurchgang ab, mitsamt allen Gefühlen, vor allem den unangenehmen – daher kommt die Idee vom Jüngsten Gericht, die es in allen Religionen gibt.
Es hat sich eingebürgert, die unbekannte Zone nach dem Tod „Ewigkeit“ zu nennen. Aber dass nach dem irdischen Leben die Ewigkeit als eine neue, endlos dauernde Zeit kommt, ist eine hilflose Projektion unserer jetzigen Lebenserfahrungen. Ein Leben außerhalb der Zeit können wir uns nicht vorstellen. Aber die Ewigkeit kommt nicht, sie ist auch jetzt längst schon da. Ja, sie war schon da, bevor es die Zeit gab.
Viele Menschen freuen sich darauf, nach dem Tod mit den lieben Menschen vereint zu sein, die vor ihnen gestorben sind. Dass am Ende „Gott alles in allem ist“, wie es Paulus im 1. Korintherbrief schreibt, ist tatsächlich zentraler Bestandteil des christlichen Glaubens.
Doch mit dem richtigen Verständnis von „Ewigkeit“ bedeutet das: Sie werden nicht nur mit Ihren lieben Verstorbenen vereint sein, sondern auch mit Ihrem eigenen Säuglingsdasein, mit allen Gestorbenen und allen Lebenden, sogar allen, die noch geboren werden. Mit allen Lebewesen und allem Unbelebten, aller Materie und aller Energie. Und nicht nur das. Es wird die Vereinigung sein, von der Jesus gesprochen hat, und für die er von den damaligen Religionswächtern zum Tod verurteilt wurde: die Vereinigung von Gott und Mensch.
Solange wir leben, denken und handeln wir in Gegensätzen. Wir tun etwas und lassen dafür etwas anderes. Wir lieben und hassen, wir müssen unterscheiden. Philosophen wie Immanuel Kant haben gezeigt, dass wir ohne Unterscheidung von Raum und Zeit diese Welt gar nicht wahrnehmen könnten. Die moderne Physik bestätigt das. Auch Religion vollzieht sich in Gegensätzen: Glaube und Unglaube, Vertrauen und Zweifel, Gut und Böse, Gott nahe sein oder fern. Die Mystikerinnen und Mystiker wollten diese Gegensätze überwinden. Meister Eckhart, Teresa von Avila und viele andere experimentierten mit sich. Sie erforschten in spiritueller Versenkung die Tiefen ihrer Seele und berichten: Dort unten ist ein Licht, das alles durchdringt. Eine Liebe, zu der es kein Gegenteil mehr gibt. Vor allem berichten sie, dass es nichts zu berichten gibt. Weil es keine Worte dafür gibt, nicht die leiseste Entsprechung davon in unserer Sprache.
Und was ist mit der Reinkarnation? Könnte es sein, dass wir nach unserem Tod in anderen Lebewesen weiterleben? Der Künstlerpoet André Heller wurde einmal danach gefragt. Ich liebe seine Antwort: „Wiedergeburt? Oh je, nein. Ich will nach Hause!“
Werner Tiki Küstenmacher, Baujahr 1953, ist evangelischer Pfarrer im Ehrenamt, Karikaturist, Buchautor und wohnt mit seiner Frau, der Autorin Marion Küstenmacher, in Gröbenzell.