Eins-sein
Der Garten ist ein kleines Paradies. Geschaffen in jahrelanger Arbeit aus einem verwilderten Grundstück, in dem ein heruntergekommenes Haus stand. Heute ist dem wunderhübschen Haus die Vergangenheit nicht mehr anzusehen. Auch hier steckt viel Arbeit drin. Irgendwie erscheint diese sichtbare Welt, in der Offenheit, Klarheit und die Verbindung von Innen (Haus) und Außen (Garten) herrschen, ein Spiegel ihrer selbst zu sein. Marion Küstenmacher, Theologin, Germanistin, Lektorin, Redakteurin, Autorin und Mutter von drei Kindern macht alles zu einem Ganzen. Wohl deshalb zählt sie in theologischen, psychologischen, philosophischen und spirituellen Bereichen zu einer der angesehensten Autorinnen und Referentinnen im deutschsprachigen Raum. Über 30 Bücher hat die Gröbenzellerin geschrieben, das neueste kommt im Mai heraus.
Die Sammlung des Geistes: In den hohen und langen Bücherregalen von Wohn- und Esszimmer reiht sich die Belletristik. Die Arbeitsmaterialien sind im Büro: Bücher über Buddhismus, Islam, Judentum und Christentum. Werke über Mystik, Philosophie, Soziologie und Psychologie und alles geschrieben in vielen Sprachen.
„Es gibt nicht nur ein Modell, wie die Welt entstanden ist!“
Das Herz: Viele Bibeln in unterschiedlichen Übersetzungen sind dabei. Eine davon liegt gerade offen neben ihrem Computer. Marion Küstenmacher deutet auf den griechischen Urtext. Ein ganz anderes Gefühl für die mystische Tiefe des Evangeliums, sagt sie, entsteht beim Lesen dieser Sprache des Geistes, und beschreibt die Welle aus Worten, die sie direkt ins Herz treffen.
„Hier beginnt die Freiheit des Geistes.“
Der Anfang: Marion Küstenmacher selbst beginnt ihr Leben 1956 in Würzburg als Tochter eines Katholiken und einer Protestantin. Mit etwa acht Jahren hat sie ihre erste mystische Erfahrung. Heute belegen Studien, dass viele Kinder bis zu jenem Alter Bewusstseinszustände erfahren, in denen sie sich eins mit allem fühlen. Meist werden ihre Erlebnisse als „Spinnerei“ abgetan und vergessen. Marion Küstenmacher erinnert sich, spricht aber jahrzehntelang nicht darüber.
„Diese Einheitserfahrung ist unbegreiflich und überwältigend!“
Die Platzsuche: Die Familie ist sehr ästhetisch orientiert. Der Vater sammelt Kunst, die Mutter malt, die Schwester wird Künstlerin, der Bruder Komponist. „Was soll nur aus dir mal werden?“, hat sich die Mutter oft gefragt. Denn die Tochter ist eine Leseratte und kaum von ihren Büchern wegzubekommen. Sie lacht: „Weite Strecken meiner Jugend habe ich im 19. Jahrhundert verbracht“. Und sie schreibt Tagebuch. Ihr erstes Honorar bekommt sie mit zehn Jahren für eine Osterhasengeschichte. 10 Mark!
„Bücher schreiben wollte ich nicht. Nur Bücher machen!“
Die neuen Felder: Marion Küstenmacher studiert evangelische Theologie und Germanistik, wird Verlagslektorin und Redakteurin mit den Schwerpunkten Spiritualität, Psychologie und Lebenshilfe. Ab 1998 schreibt sie dann zusammen mit ihrem Mann Werner Tiki Küstenmacher den Simplify-Infoletter. Bereits vorher und währenddessen hält die Nimmermüde Vorträge und Seminare, macht Weiterbildungen zur Persönlichkeitsentwicklung von Erwachsenen. Und sie bekommt Kinder – mit jedem erfindet sie ihr Feld neu und findet das auch ganz normal.
„Loslassen macht Platz für Neues!“
Das Allumfassende: Weil sie mit dem dritten Baby wieder mehr zu Hause angebunden ist, vertieft sie sich in integrale Philosophie. Versucht interdisziplinäre wissenschaftliche Erkenntnisse zu bündeln, um das Christentum im 21. Jahrhundert neu zu buchstabieren. Sie gräbt tief und bis an die mystischen Wurzeln der Religionen. Bis sich schließlich alles zu einem neuen Ganzen fügt – und aktuelle psychologische, philosophische und theologische Erkenntnisse zusammen eine neue „spirituelle Intelligenz“ ergeben.
„Religionen dürfen nicht auf ihre Institutionen reduziert werden.“
Die Inhalte. Die Erkenntnisse hält sie in Büchern fest, die sie allein oder mit Ko-Autoren schreibt. Die neunte Auflage von „Gott 9.0“ spricht für sich. Ihre Fortsetzung „Integrales Christentum“ wird von Kritikern als „hochintelligentes Buch“ beschrieben und ist Grundlage zur Weiterbildung von Hauptamtlichen in beiden Kirchen. Keines ihrer Bücher lässt sich oberflächlich lesen. Der Tiefgang fordert den Verstand – er berührt aber auch das Herz und öffnet die Augen für das Jetzt im Sein.
Experiment: Auch Marion Küstenmacher muss sich hin und wieder zum Schreiben motivieren. Der „Engel der Konzentration“, den ihre Tochter gemalt hat, hilft ihr gerade dabei. Es gibt Bücher, die flossen aus ihr heraus, andere waren harte Brocken. Jedes entwickelte eine Eigendynamik, die sie selbst immer wieder fasziniert. Das neue Werk „Mein fliegender Teppich des Geistes“ ist sehr autobiografisch. Ein Experiment, das den Bogen schlägt von erinnerten Kindheitsmomenten hin zu einer erwachsenen integralen Spiritualität. Auf die Resonanz ist sie selbst gespannt. Im optimalen Fall, meint sie, ermutigt es die Leser, sich an die spirituellen Fäden ihrer eigenen Kindheit zu erinnern und sie neu mit den Erfahrungen im Erwachsenenleben zu verknüpfen.
„Die meisten Christen kennen ihre eigene mystische Tradition nicht.“
Verständnis: So komplex und tief die Inhalte ihrer Bücher sind, sie sind verständlich. Hilfreich sind dabei die Illustrationen ihres Mannes Werner Tiki Küstenmacher, mit dem sie einige Bücher geschrieben hat – oder er mit ihr? Zu trennen wäre banal und geht im Alltag sowieso nicht. Die beiden sind eine Einheit – ein „Super-Team“. Beide haben in der Beziehung früh verstanden, dass man sich wechselseitig fördern sollte. Zwei Jahre lang war ihr Mann sogar ein richtiger Hausmann, als das noch absolut exotisch war – beide waren damals auch Mitbegründer der ersten privaten Kinderkrippe in Gröbenzell.
„Wir leben eine partnerschaftliche Beziehung.“
Paradies: Ordentlich in hübsche Ordner verpackt ruhen nun die Recherchematerialien an ihrem Schreibplatz, von dem aus sie in den Garten schauen kann. Auf dem Balkon steht ein Vogelhäuschen mit Haselnüssen. Eichkatzl geben sich hier die Pfötchen in die Hand, ab und zu schaut ein Eichelhäher vorbei. Hier füttert sie Igel, Goldfische und 24 Vogelarten („wir haben sie gezählt“). Auch über ihr grünes Paradies hat sie schon geschrieben: „Der Seele einen Garten schenken“ heißt ein Buch, in dem sie kleine spirituelle Geschichten über ihre Pflanzen und Tiere erzählt.
„Es geht uns ums Schöpferische, nicht um den Besitz.“
Verbundenheit: Gäbe es eine Überschrift für die Essenz des Lebens von Marion Küstenmacher, es wäre vielleicht jenes Wort. Allenfalls würde sich die Frage stellen, was an erster Stelle stehen würde. Die Verbundenheit mit der Natur? Die Verbundenheit mit ihrem Mann und ihrer Familie? Die Verbundenheit mit Gott, dem Universum, dem Leben und dem Jetzt? Die Antwort erschließt sich fast von selbst. Denn bei Marion Küstenmacher ist das eins.
„Mit geöffnetem Herzen!“
Zukunft: Die jugendlich wirkende 64-Jährige will etwas kürzer treten. Die Zahl der Seminare und Vorträge reduzieren. Und sie hat Lust, aus dem Sachbuch hinauszugehen und zum Privatvergnügen zu schreiben. Sie holt das Buch „Mystik für Kinder“ aus dem Regal, das sie vor vielen Jahren zusammen mit der Grundschullehrerein Hildegard Louis schrieb und das ihr heute noch viel Spaß macht, durchzublättern. Vielleicht wieder ein Buch für Kinder? Marion Küstenmacher, die ihren ersten Enkel erwartet, schmunzelt: „Vielleicht sogar Osterhasenschichten.“
Fotos: Simon Katzer, Text: Petra Neumaier