FEISTE ENGERL UND MUTIGE POLIZISTEN
So weiß sind die Wände – und so dunkel war die Vergangenheit im Dritten Reich! Die Polizeihochschule Fürstenfeldbruck im Kloster Fürstenfeld jedoch allein auf ihr düsteres Kapitel als Ausbildungsstätte von Kriegsverbrechern und Judenmördern herunterzubrechen, würde ihr nicht gerecht werden. Es sind ja die Menschen, die jene Kapitel schrieben. Vor genau 200 Jahren wurde das riesige Gebäude mit seinen prunkvollen Sälen in den Dienst der öffentlichen Ordnung gestellt. Einst als Invalidenhaus für Veteranen der königlich-bayerischen Armee, ab 1924 als Schule der Polizei. Seit 2017 ist sie Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern! – Ein Spaziergang mit Holger Nitsch, Leiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung, durch hohe Flure, riesige Säle, hinauf bis unter das lichte Dach und hinunter in die düstere Gruft.
Der Duft der Mensa füllt die Gänge. Wie das Echo der Sohlen auf den blanken Steinfliesen. Es ist Mittag, als Holger Nitsch durch die langen Flure führt, die mit jedem Schritt länger zu werden scheinen: So groß, so weitläufig sind die Trakte, die sich um grüne Innenhöfe legen und an deren Seiten, wie riesige Pflaster, dunkle Eichenportale kleben. Holger Nitsch lächelt. Seit 2006 ist der Münchner in der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck beschäftigt. „Wenn man hier jeden Tag ist, fällt es einem gar nicht mehr auf. Aber bei Führungen wird einem wieder bewusst, was für einen tollen Arbeitsplatz man hat“, sagt der 51-Jährige und seine Stimme hört sich sehr stolz an.
Vor drei Jahren, zum 40. Geburtstag der damals noch Polizeifachhochschule, war die letzte öffentliche Begehung. Am „Tag der offenen Tür“, von denen es viele gibt und hinter denen, einem Adventskalender gleich, immer eine andere Überraschung verborgen ist. Alle sind sie Originale aus der Klosterzeit. Eindrucksvoll in ihrer Größe und mit ihren Schnitzereien. Die aber dann doch fast bescheiden wirken, angesichts der Schätze, die sie verbergen. Hohe Räume und Säle mit kunstvollen Fresken, Ornamenten und Decken, die zum Teil in schwerem, barockem Stuck gefasst sind. Feiste Engerl schweben hier mit allerlei Tieren und schweren Girlanden über den Köpfen der Studierenden und denen, die sich an langen Tischen zu Besprechungen treffen. Fast wird einem bange. „Alles statisch geprüft“, versichert Holger Nitsch und lacht.
Schlicht sind nur wenige Studierzimmer – und die Büros. In luftiger Höhe von 17 Metern über der Amper und doch nur im zweiten Stock liegen sie, und sind Zeugen verfehlter Umbaumaßnahmen der 1960er-Jahre. Die neue und moderne Bibliothek unter dem Dach hingegen begeistert. „Geht doch!“, möchte man gratulieren. Und tut es dann beim Betreten der rot-blauen Kapelle des Herzogs und des Kurfürstensaals. Viel zu lange waren die kunstvollen Asam-Fresken und Stuckaturen von Nicolo Perti unter einer Zwischendecke des Kurfürstensaals verborgen. Ein Zufall brachte sie ans Tageslicht. Auf Initiative eines Fördervereins wurden sie 2010 restauriert. Doch nur bei besonderen Anlässen ist der Festsaal öffentlich zugänglich. Ansonsten finden hier, zwischen Ahnengemälden der Wittelsbacher, die Prüfungen und Zeugnisverleihungen statt.
Und dann öffnet Holger Nitsch eine weitere Tür und steht in luftiger Höhe in der eiskalt schweigenden Klosterkirche unter der riesigen Fux-Orgel. Graffitis aus dem 19. Jahrhundert zieren den Weg auf die andere Seite – denkmalgeschützte Zeugnisse gestresster Studenten von anno dazumal.
„Natürlich befasst man sich mit der gesamten Geschichte, wenn man hier arbeitet“, sagt Holger Nitsch und geht weiter und in den ältesten Teil des Klosters aus dem 13. Jahrhundert. Hindurch durch den schlichten Wohntrakt und vorbei an den Schildern, die um Ruhe zur Schlafenszeit bitten. Der Lehrbeauftragte schaltet das Licht in einem Saal an, in den alle Studenten mindestens einmal hinein müssen. „Keine ruhmreiche Rolle“, sagt er dann düster, habe die Schule im Dritten Reich gespielt. Die Dokumentationen an den Wänden, die Teil einer Wanderausstellung waren, erzählen die hässlichen Geschichten der Polizei zur Zeit des Nationalsozialismus – auch aus anderen Orten. „Es ist wichtig, dass sich jeder Student seiner Verantwortung bewusst wird“, erklärt Holger Nitsch, der sonst jede Tür nach dem Verlassen des Raumes wieder zugeschlossen hat. Diese Tür lässt er offen.
Petra Neumaier
Zahlen und Fakten:
18 000 qm umbauter Raum
335 Studenten (derzeit)
100 Lehrbeauftrage
23 Dozenten
15 Lehrsäle
11 Köche und Küchenpersonal
10 Reinigungskräfte
4 Gärtner und Hausmeister
4 Semester dauert das Studium zum Verwaltungsfachwirt
3 Innenhöfe
2 Facharbeiter
Das Kloster gehört dem Freistaat Bayern und wird vom Finanzministerium finanziell getragen.
Zur Einrichtung gehören Sportplätze und ein Einsatzübungsort in der Dachauer Straße.
Geschichte:
1818 bis 1868 Invalidenhaus für die Veteranen der königlich-bayerischen Armee
1869 bis 1893 Garnison für verschiedene Truppenteile
1894 bis 1918 Königlich-bayerische Unteroffiziers- (vor-) schule
1924 bis 1933 Gendarmerie- und Polizeischule
1933 bis 1936 Polizeihauptschule
1937 bis 1942 Polizeioffiziers- und Schutzpolizeischule
1942 bis 1945 Offiziersschule der Ordnungspolizei
1945 bis 1946 Lazarett
1946 bis 1952 Landpolizeischule
1953 bis 1975 Bayerische Polizeischule
1975 bis 2003 Sitz des Fachbereichs Polizei der Bayerischen Beamtenfachhochschule.
2003 Umbenennung in Bayer. Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege – Fachbereich Polizei
2017 Umbenennung in Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern, Fachbereich Polizei
Das Buch „Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust“ des Gröbenzeller Historikers Sven Deppisch basiert auf seiner Doktorarbeit und entwickelte sich in nur wenigen Wochen zu einem absoluten Bestseller der Geschichtswissenschaft. Die Studie befasst sich mit der Frage, wie die Führungskräfte der uniformierten Ordnungsmacht im Nationalsozialismus an den beiden obersten Polizeischulen in Fürstenfeldbruck bei München und Berlin-Köpenick ausgebildet wurden und wie das diese leitenden Polizisten beeinflusste.
Darin beleuchtet er einerseits, welch zentrale Rolle vor allem die Brucker Lehranstalt im „Dritten Reich“ allgemein innehatte: Diese einzigartige „Kaderschmiede“ bildete Männer aus ganz Deutschland und Österreich zu Offizieren aus, die dabei zugleich für den Holocaust trainierten. Mit diesem Know-how zogen erschreckend viele von ihnen während des Zweiten Weltkriegs in die besetzten Gebiete, in denen sich zahlreiche „Gesetzeshüter“ am Judenmord und anderen Massenverbrechen beteiligten. Kaum jemand wurde nach Kriegsende für seine Taten angemessen bestraft – falls überhaupt. Stattdessen führten die ehemaligen Polizeiführer des NS-Staats ihre Karrieren fort, als sei nichts geschehen. Einige gelangten sogar an die Lehranstalten der demokratischen Polizei, in denen sie die neue Generation von Ordnungshütern ausbildeten und so mit den alten Feindbildern, Denkweisen und Einsatzmustern konfrontierten, auf denen ihr schrecklicher Beitrag am Holocaust basierte.
Daneben zeigt Deppisch andererseits, was für eine bedeutende Position die Polizeischule in der Kommune Fürstenfeldbruck einnahm. Ein Stück weit verdankte sie ihr sogar, im September 1935 zur Stadt aufgestiegen zu sein. Die Bildungsstätte war ein wichtiger lokaler Machtfaktor und Repräsentant des NS-Polizeistaats vor Ort. Sie prägte das Stadtbild nicht nur, indem sie bei Feiern, Gedenkveranstaltungen sowie karitativen Sammlungen mitwirkte und sich so als „Freund und Helfer“ inszenierte. Auch fielen ihre Angehörigen durch ein vorbildliches, aber auch ein undiszipliniertes Verhalten auf. So kam es sowohl zu heroischen Rettungsaktionen als auch zu brutalen Straftaten. Während sich die Polizisten außerdem gegenüber den „Volksgenossen“ mustergültig betragen sollten, diskriminierten sie Kriegsgefangene und Ausländer. Ausgewählte Biographien veranschaulichen, was für ein Personal damals in der heute noch wichtigsten Polizeischule des Freistaats agierte.
Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Veröffentlichungen des Bayerischen Polizeimuseums, Bd. 2, Tectum Verlag, Baden-Baden 2017, 676 Seiten, 39,95 €.