VOM WACHTMEISTER ZUM PRÄSIDENTEN

VOM WACHTMEISTER ZUM PRÄSIDENTEN

 

In der Germeringer Polizeiinspektion war er schon einmal. Früher, um genauer zu sein, vor fast 40 Jahren. Damals waren die Ordnungshüter noch im Rathaus untergebracht und Hubertus Andrä war im Rahmen seines ersten Dienstjahres als Gruppenleiter eingesetzt. Dass er beinahe vier Jahrzehnte später – wenn auch nur für ein Interview – als Polizeipräsident von München wiederkommen würde, hätte er sich damals sicherlich nicht träumen lassen. Seit 2013 ist der sympathische Wahl-Germeringer jetzt Chef von 7000 Kollegen und hat in dieser Zeit so manche große Hürde gemeistert.

 

SICHERHEIT GEHT VOR

 

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Der berufliche Lebenslauf von Hubertus Andrä ist fast 20 Positionen lang. Polizeiwachtmeister ... Oberwachtmeister ... Kommissar ... Hauptkommissar ... Polizeirat ... Polizeioberrat ... Polizeidirektor ... Ministerialrat ... Ministerialdirigent ... Und das oft an verschiedenen Orten. Man muss bei der Polizei flexibel sein, wenn man Karriere machen will, sagt er so beiläufig, dass keine weitere Frage offen bleibt.

 

Geboren wurde Hubertus Andrä 1956 in Garmisch-Partenkirchen. Als „Sandwich-Kind“ zwischen zwei Brüdern und Sohn eines Grenzpolizisten. Wir wohnten gegenüber des Grenzübergangs in einer Wohnung der Polizeidienststelle, erzählt Hubertus Andrä, der den Beruf quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat. Trotzdem wollte er zunächst Lehrer werden. Grundschullehrer! Weil ich eigentlich in keinem Fach so gut war, dass ich mich auf eine Fachrichtung hätte festlegen können, gibt er lachend ehrlich zu und drum ist das sehr sympathisch. Doch das Schicksal meinte es anders. Als Hubertus Andrä 18 Jahre alt ist, stirbt sein Vater bei einem Verkehrsunfall. Er fuhr uns nach meinem Fußballspiel nach Hause, erzählt er leise und schaut ins Leere. Auch aus finanziellen Gründen wäre es nicht gegangen, dass ein zweites Kind studiert, sagt er dann und dass ein Kollege der Dienststelle seines Vaters ihm deshalb vorschlug, statt zum Wehrdienst einzurücken zur Polizei zu gehen. Da verdient man ganz gut und studieren kannst du dann immer noch, zitiert Hubertus Andrä.

 

Also zieht er los und taucht in eine ihm völlig neue Materie ein, die zum Glück nichts mit Mathe zu tun hat (wieder sehr sympathisch!). Das Erlebnis der Gemeinschaft, die vielfältigen und interessanten Aufgabengebiete ziehen ihn schnell in den Bann. Eine Stufe der Karriereleiter nach der anderen steigt er empor. Manchmal nimmt er gleich mehrere in einem Jahr. Für seine Familie, die er vor 35 Jahren mit der Geburt seines ersten von zwei Söhnen gründet, ist das oft eine logistische Herausforderung. Wir waren viel unterwegs, haben aber alle Entscheidungen gemeinsam getroffen, betont er.

 

Für Hubertus Andrä selbst steht die wichtigste Grundvoraussetzung seiner Arbeit im Vordergrund: Der Spaß an seinem Beruf, der definitiv seine Berufung ist. Alle Aufgaben, denen er sich stellt und vor die er gestellt wird, sind für ihn spannend. Auch die, die ihn vor genau zehn Jahren ins Innenministerium führten. Trotzdem gibt er zu, lieber bin ich vorne mit dabei. 

 

Was manchmal an die Nieren geht. Der 2. Januar 2006 löst bei ihm immer noch Gänsehaut aus. Hubertus Andrä, seit einem Jahr Leiter der Polizeidirektion Traunstein, muss zu einem Großeinsatz: Das Dach der Eislaufhalle in Bad Reichenhall ist unter der Schneelast zusammengebrochen. Er schüttelt traurig den Kopf. So viele Kinder unter den Opfern und so viele betroffene Familien, die ich persönlich kannte. Dass er dieses Unglück überhaupt verarbeiten kann, verdankt er den beiden wichtigsten Komponenten seines Lebens: Der Kirche und meiner Frau, die mir Rückendeckung gibt, die mir immer und in dieser Situation besonders zur Seite stand. Sie weiß genau, was und wie sie mir etwas sagt und wann sie mich einfach zur Ruhe kommen lässt, sagt der sonst so hünenhaft wirkende Polizeipräsident sanft.

 

Gut getan haben ihm im Nachgang zudem zahlreiche Vorträge, durch die er die psychische Belastung bewältigen kann. Im Allgemeinen ist es ja nicht zu vermeiden, dass man als Polizist bei Einsätzen aus der Bahn geworfen wird. Wir erleben vieles, was ans Gemüt geht und wo man sich schützen muss. Da entwickelt man Strategien. Den starken Mann spielen hilft da nicht weiter ... Der Fall der Kollegin in Unterföhring, die im Sommer vergangenen Jahres durch einen Kopfschuss schwer verletzt wurde, geht ihm dennoch sehr nah. Obwohl Andrä unmittelbar keinen Kontakt zu ihr hatte.

 

7000 Männer und Frauen arbeiten „unter ihm“. Hubertus Andrä, der ruhige, pragmatische Präsident ohne Promi-Allüren, korrigiert das gleich als „mit ihm“. Wenn man für so viele Menschen verantwortlich ist, ist man gut beraten, mit ihnen zu arbeiten. Ich will und mag jedenfalls keine Papageien, sagt er und beschreibt, wie wichtig es ihm ist, von Kollegen umgeben zu sein, die fundiert ihre Meinung sagen, um dann Entscheidungen zu treffen. Das inkludiert natürlich zahlreiche Besprechungen mit Führungskräften und Dienststellenleitern und Abteilungsleitern und anderen. Außerdem kann ich mich nicht mit jedem Sachverhalt auseinandersetzen – da muss und will ich mich auf die Fachleute der Abteilungen verlassen.

 

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580 000 Überstunden haben die 5700 Polizeibeamten in München angesammelt – die ihres Präsidenten sind nicht dabei. In dieser Position zu sein bedeutet: von Montag bis Sonntag ein Vollzeitjob. Der Laptop und ein gut gefüllter Aktendeckel sind darum selbst nach einem langen Arbeitstag immer auf dem Weg nach Hause dabei. Seit zehn Jahren ist das Germering. Die Wohnung war schön, die Verkehrsanbindungen sind perfekt und frühere Kollegen aus Gilching wohnen auch in der Nähe, zählt er die Vorteile auf. In seiner knappen Freizeit ist Hubertus Andrä allerdings seltener im Landkreis anzutreffen. Abends geht er gerne mal laufen, oder sitzt mit einer Zeitung oder einem Buch am Germeringer See und genießt die untergehende Sonne. Ansonsten ist er gerne mit dem Mountainbike unterwegs. In der näheren Umgebung und noch lieber in Ruhpolding. Seine Augen beginnen zu strahlen. Das ist sehr schön, schwärmt der sportliche 60-Jährige, der stets so früh im Sattel sitzt, dass er mit seiner Runde schon fertig ist, wenn die Massen kommen.

 

Die Urlaubsreisen verbringt die Familie, besser er und seine Frau (die Söhne, ein Richter und ein Diplomsportwissenschaftler, gehen längst eigene Wege) als Nomaden im Wohnmobil. Am liebsten in der Toskana – im Landesinneren und am Meer. Wichtig ist für mich, den Fernseher dabeizuhaben: Ich brauche die Nachrichten und die Fußballergebnisse – das gehört für mich zur Entspannung dazu, schmunzelt Hubertus Andrä und betont, kein Fan einer bestimmten Mannschaft zu sein. Mir geht es um das Spiel und um die Taktik, nicht um Namen.

 

Bei so vielen Ämtern in über 40 Jahren stellt sich die Frage, was und wo es ihm bislang am besten gefallen hat. Hubertus Andrä, der sich derzeit wie Jupp Heinkes vorkommt, der seine Leute geschickt und bestmöglich einsetzen muss, damit der „Ball rollt“, muss nicht lange überlegen. Ich habe gerne Dienst auf der Straße gemacht, war gerne bei Einsätzen dabei – jetzt organisiere ich und schaue, dass alles bestmöglich läuft. Dienstlich in einen Streifenwagen einsteigen würde er dennoch nicht mehr wollen, nicht, weil mir das zu nieder ist, betont er schnell. Ich habe jetzt einfach eine andere Zeit und andere Aufgaben zu erfüllen und das macht mich voll und ganz zufrieden.

 

Kurze Fragen – kurze Antworten

Verantwortung für 1,8 Millionen Einwohner?

Das lastet nicht auf meinen Schultern. Passieren kann immer was. Wesentlich ist zu wissen, ein Team zu haben, das sein Bestes gibt. Damit kann man gut schlafen.

 

Arbeitsbelastung der Polizeibeamten?

Sie ist hoch, die Bereitschaft, der Einsatzwille und das Engagement aber genauso. Die ganz große Masse der Kollegen machen nicht einen Job, sondern gehen ihrer Berufung nach.

 

Ihr größter Erfolg als Präsident?

Das Ende des Enkeltrick-Betruges und der Rückgang der Einbrüche in München, durch Aufklärung, Kontrollen und intensive Spurensuchen am Tatort.

 

Die größten Herausforderungen?

Der Rechtsextremismus. Wichtig ist es, hier entsprechend aktiv zu sein. Es gibt ein eigenes Kommissariat, in dem die Kollegen sehr gute Einblicke in die Szene und Situationen haben und rasch reagieren können. Obenan stehen zudem die Beobachtung der IS und der Bürgerwehr.

 

Ansehen der Polizei?

Die Polizei ist die Behörde, die am intensivsten unter öffentlicher Beobachtung steht. Durch die Medien und Handys müssen wir jederzeit im öffentlichen Bereich damit rechnen, dass ein Video von unseren Einsätzen aufgezeichnet und in den Medien gesendet wird. Umgekehrt werden auch Kollegen zuweilen Opfer von persönlichen Angriffen – deshalb gibt es jetzt Kameras in den Uniformen, die die Einsätze aufzeichnen. Unsere Leute haben keine Probleme mit dieser Form der Dokumentation.

 

Polizei vor Ort?

Die Bayerische Polizei genießt ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung und das wird politisch sehr stark unterstützt. Es ist für die Bürger sehr wichtig, dass die Polizei vor Ort ist.

 

Personalmangel?

In Bayern sind wir sehr gut aufgestellt – seit 2017 gib es jährlich zusätzlich 500 Einstellungen und an Nachwuchs mangelt es nicht. Die Ausbildung dauert vier Jahre und darum braucht es Zeit, bis alle Stellen besetzt sind, die geschaffen wurden. In Bayern wurde zudem die technische Ausstattung optimiert wie der Fuhrpark. Die neuen Uniformen kommen sehr gut an und heuer gibt es sogar neue Dienstwaffen.

 

Werdegang im Schnelldurchlauf:

1975 Ausbildung zum Polizeiwachtmeister; 1976 Polizeioberwachtmeister; 1982 Polizeioberkommissar; 1986 Polizeihauptkommissar; 1992 Polizeirat; 1995 Polizeioberrat; 2000 Polizeidirektor; 2003 bis 2004 Referent für die Polizeiorganisationsreform im Innenministerium; 2005 Leiter der Polizeidirektion Traunstein; 2008 Leiter des Sachgebietes IC5 im Innenministerium; 2009 Ministerialrat; 2010 Stellvertretender Leiter der Abteilung IC und Leitender Ministerialrat; 2012 Leiter für Verfassungsschutz und Cybersicherheit; 2013 Ministerialdirigent und Polizeipräsident in München, des größten bayerischen Präsidiums mit rund 7000 Mitarbeitern.

 

 

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