Vom Glück zu leben
Er hat ihn immer noch drauf. Diesen charmanten Blick aus schelmisch blitzenden Augen, das verschmitzte Lächeln, das, obwohl inzwischen tief in sein Gesicht gegraben, genauso umwerfend jugendlich ist wie damals. Sanft ergreift er die gereichte Hand, um sie zu einem angedeuteten Handkuss zu führen. Galant hilft er aus dem Mantel. Ach ja, seufzt das dahinschmelzende Herz, das waren Zeiten, als man selbst jung an Jahren schmachtend vor dem Fernseher die Liaisons von Frauenliebling Claus Biederstaedt verfolgte. Ihm jemals zu begegnen, schien unerreichbar. Und jetzt sitzt er hier, in Eichenau, im Flori, und man könnte ewig zuhören, wenn der inzwischen 88-Jährige erzählt.
Dass seine Beine nicht mehr so wollen wie früher und andere, altersbedingte Zipperlein den drahtigen Körper plagen, sieht man ihm nicht an. Professionell, wie er es nach 70 Jahren Bühnenerfahrung nun einmal ist, folgt er den Anweisungen des Fotografen. Setzt sich, wenn er sitzen soll, steht und geht, wenn er stehen und gehen soll. Mal das Gesicht verklärt in den Himmel gereckt, dann wieder charmant in die Kamera lächelnd. Claus Biederstaedts überraschend kleine Statur wächst dann über sich hinaus, ohne jegliche Starallüren, die man angesichts der nahezu unerreichbaren Biografie seines Schauspiel- und Regielebens durchaus erwarten könnte.
Seine Kindheit ist ein Paradies
Über 200 Filme drehte Claus Biederstaedt, darunter insgesamt 60 Spielfilme. Als Synchronsprecher gab er Hollywood- Größen wie Marlon Brando, Yves Montand, James Garner (Detektiv Rockford) und Peter Falk (Columbo) seine männlich markante Bassstimme. Der Mann mit den buschigen Augenbrauen durfte an der Seite der schönsten Frauen drehen – und sie küssen: Romy Schneider bekam sogar 1954 von ihm ihren allerersten Kuss! Fans standen Schlange, wo immer er auftauchte: Einmal, 1956, bei der Uraufführung von „Charley’s Tante“ in Berlin, musste sogar der Ku’damm gesperrt werden. Seine Filme sind Kult – und dennoch schaffte es Claus Biederstaedt, nur das Allernötigste der Öffentlichkeit preiszugeben: Neben seiner beruf lichen Karriere war das allenfalls die Zungenkrebserkrankung vor ein paar Jahren, die seine Artikulation erschwert, ihn aber nicht vom Sprechen abhält.
Claus Biederstaedt ist ein Kämpfer. Vielleicht auch, weil sich seine Mutter einst in einer für sie ausweglosen Situation aufgab, sie lieber in Ehren ging, als in Schande zu bleiben. Die Erinnerung an ihr Ende, eingekesselt von der damals die Heimat Pommern einnehmenden Roten Armee, lässt ihm nach über 70 Jahren Tränen in die Augen steigen und verstummen. Denn viel lieber lässt er seine Kindheit in der Erinnerung dort, wo sie schön ist und ein Paradies bleibt – hat er vor vielen Jahren einmal in einem Interview gesagt. „Wir konnten bis zum Horizont sehen, denn um uns herum waren nur Felder“, erzählt er jetzt verträumt von seiner Heimat Stargard, im heutigen Polen, nahe Stettin.
Mit 15 Jahren in den Krieg
Glücklich und unbeschwert wächst Claus Biederstaedt hier auf. Er ist das einzige Kind der schönen Lucie und des beliebten Studienrats Fritz, der Musik und Kunstgeschichte an der Stargarder Mädchenoberschule lehrt und am Ort Kulturchef und Organist ist. So wundert es kaum, dass der Junge schon mit fünfeinhalb Jahren Klavier und mit sechs Jahren Orgel lernt. „Für meine Lehrer konnte ich die Stücke immer viel zu schnell auswendig spielen“, lacht der Mann, der selbst 80 Jahre später mit einem nahezu lückenlosen Gedächtnis beeindruckt.
Neben seiner früh geweckten Liebe zu Musik, Theater und Oper interessiert sich der Bub vor allem für das Kino: Bereits als Sechsjähriger schleicht er sich oft in eines der drei Stargarder Lichtspielhäuser. Erst als die Eltern eines Tages mit ihm ins Kino gehen und die Platzanweiserin ihn mit den Worten begrüßt „Na, kommst du heute mal mit deinen Eltern?“, kommt sein Geheimnis heraus.
Gescholten wird er nicht. Im Gegenteil. Seine Eltern unterstützen seine Leidenschaft für den Film. 1942, als ihr aufgeweckter Junge von der Ufa einen Preis erhält, weil er den Rühmann-Film „Quax, der Bruchpilot“ auswendig niederschreiben kann, schenken sie ihm eine Schmalfilmkamera. Die soll sein lebenslanges Hobby werden. Auch erinnert sich Claus Biederstaedt gerne daran, als er im Alter von 15 Jahren mit seiner Mutter in einen „harmlosen Film ab 16 Jahren“ gehen will und abgewiesen wird. „Was? Den Film darf er nicht sehen, aber an der Kanone stehen und schießen?“, blafft die Mutter den Kartenverkäufer an, der sich nicht zu widersprechen traut. Claus Biederstaedt lacht. „Ich bin sehr stolz auf meine Mutter.“
Mit der frühen Einberufung in den Wehrdienst ist Claus Biederstaedts Kindheit beendet. Der Flakhelfer wird direkt vom Militär übernommen und Reserveoffiziersbewerber bei der Luftwaffe. Als einziger seiner Klassenkameraden des humanistischen Gymnasiums überlebt er den Krieg. „Wieder lachen zu lernen, war ein schwieriger, aber wichtiger Prozess“, sagt er und dass es trotzdem gut war, das alles erlebt zu haben. „Es hat meine Grundeinstellung zum Leben verändert, mich zum positiven Denken gebracht. Wenn der Himmel noch so grau ist, irgendwo sehe ich ein blaues Loch.“
Brusthaare aus Wolle
Gegen Kriegsende landen Vater und Sohn auf getrennten Wegen bei Verwandten in Hamburg. „Den Brandgeruch bekomme ich nie mehr aus meiner Nase.“ In den Trümmern des Gymnasiums holt er sein Abitur nach und verdient sein erstes Geld: Bei Abendgottesdiensten spielt Claus Biederstaedt das Harmonium – 20 Reichsmark bekommt er pro Andacht – so viel, wie zwei Eier kosten.
Sein großes Interesse gilt der Medizin – schon als Jugendlicher begleitete er den benachbarten Arzt ins Krankenhaus und notierte jede Kleinigkeit mit. Doch schon nach einem Semester stellen sich seine Weichen in eine andere Richtung: Im Chor der Philharmonie wird Claus Biederstaedt entdeckt und es wird ihm empfohlen, Schauspielunterricht zu nehmen. „Sehen Sie für meinen Jungen eine Chance?“, fragt der Vater den Schauspieler und Lehrer an der Hamburger Schauspielschule, Joseph Offenbach. „Auf jeden Fall“, ist die knappe Ansage. Damit gibt sich der Vater zufrieden. „Und die Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut.“
Die ersten Rollen in der zweieinhalbjährigen Ausbildung sind jedoch klein – manchmal so klein und stumm, „dass man sie verpasste, wenn man im entscheidenden Moment niesen musste“, lacht Claus Biederstaedt. „Trotzdem schminkte ich mich bei jedem Auftritt, als würde ich Hamlet spielen.“ Einmal klebt sich der junge Mann sogar auf Rat der Kostümbildnerin mit Klebstoff und Wollfusseln Brusthaare auf – um ihn dann in eine hochgeschlossene Rüstung zu stecken. „Die sieht man jetzt ja gar nicht“, protestiert er empört. Die Antwort bringt ihn heute noch zum Schmunzeln: „Aber du weißt, dass sie da sind.“
Das erste feste Engagement ist 1950 am Staatstheater in Wiesbaden. Seine erste Rolle: Der Puck im „Sommernachtstraum“ – eine Freilichtaufführung, die wegen der ständig auff liegenden Eulen und dem Bangen um das Wetter für Claus Biederstaedt ein für alle Mal das Theater unter freiem Himmel vergällt. 250 Mark verdient er im Monat, oft muss er sich überlegen, ob er Holz zum Heizen oder etwas zu essen kauft. Deshalb übernimmt der talentierte junge Schauspieler auch weitere Rollen in Hamburg, Berlin, München und Köln. In vier Jahren 80 an der Zahl!
1951 entdeckt ihn der Film. In der Besetzungsliste „Das letzte Rezept“ taucht Biederstaedt allerdings nicht auf. Doch schon im nächsten, „Die große Versuchung“ (1953), erspielt er sich den Bundesfilmpreis für den besten Nachwuchsschauspieler. Da ist er gerade einmal 25 Jahre jung! „Der Film sorgt für eine andere Prominenz als das Theater“, stellt er fest und ist fortan fast ausschließlich auf der Leinwand zu sehen: Fünf Filme pro Jahr – und an der Seite von den damals besten deutschen Schauspielern, wie Heinz Rühmann, Ewald Balser, Joachim Fuchsberger, Susanne Cramer. Als die Musikfilme boomen „und sich ihr Inhalt mehr und mehr verdünnt“, wird Claus Biederstaedt die Rolle des jugendlichen Liebhabers leid: „Wenn man Kunst machen will, spielt man lieber Theater“, sagt der anspruchsvolle Perfektionist. „Deshalb ist das Theater immer meine Nummer Eins geblieben.“
Bereits in den 60er-Jahren kehrt er neben Fernsehfilmen und dem Synchronsprechen zu seinen künstlerischen Wurzeln zurück. Vor allem in der „Koblenzer Zeit“ (ab 1985) lebt Claus Biederstaedt seinen Anspruch an die Schauspielkunst und das Theater mit Leib und Seele aus. Hier inszeniert und spielt er vier Stücke. Der „Neurosenkavalier“ wird alleine 1000 Mal gespielt. Denn das Publikum nimmt dankbar an, dass er sich stets an die Originalvorlagen hält. Der alte Mann schüttelt traurig den Kopf. Die Lust an Theaterbesuchen ist ihm inzwischen vergangen. „Weil die Stücke oft so inszeniert sind, dass man sie nicht mehr erkennt.“
Ruhepol Eichenau
Als sein Vater, der in Eichenau wohnte, 1976 verstarb, zog Claus Biederstaedt mit seiner zweiten Frau Barbara Lütjens, Kieferorthopädin in Fürstenfeldbruck, in sein Haus. Seit 40 Jahren sind die beiden jetzt verheiratet. „Einer von uns beiden verdient die Tapferkeitsmedaille“, scherzt der Charmeur, der in seinen Rollen zahllose Frauen eroberte, für amouröse Abenteuer im Privatleben aber gar keinen Sinn hat.
Biederstaedt, der kleine, drahtige Mann mit den leuchtenden Augen, liest gerne Bücher, hört leidenschaftlich Musik und ist „heilfroh“, nach einem so aufregenden Leben daheim in seinem Haus in Eichenau zu sein: zusammen mit seinem geliebten Hund (ein Boxer in dritter Generation) und bei seiner Frau – „man beachte die Reihenfolge“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Bis zu einem dreiviertel Jahr war der deutsche Filmstar früher unterwegs und erst vor gut zehn Jahren verabschiedete er sich von der Bühne. Hier, in der kleinen Gemeinde, kommt er zur Ruhe und genießt es, von Anfang an ganz selbstverständlich aufgenommen und behandelt worden zu sein. Ein bisschen erschöpft vom vielen Reden lehnt er sich jetzt zurück. „Ich hatte so viel Glück im Leben“, sagt er dann. „Es wäre vermessen, sich noch mehr zu wünschen. Und so lange der liebe Gott meint, es geht noch was rein in den unteren Teil der Sanduhr, so lange will ich gerne bleiben.“
Claus Biederstaedt ist ein Perfektionist – deshalb spielt er heute kein Klavier mehr. Dass die Läufe nicht mehr so wollen wie früher, mag er einfach sich und anderen nicht antun. „Mit Schlamperei kann man nichts erreichen und das gilt in allen Bereichen des Lebens.“