Aufgeben ist keine Option

Aufgeben ist keine Option

 

Foto Corinna Eichberger-Renneisen – Text Petra Neumaier

 

 

Rennen. Langlaufen. Rennen. Einen sauschweren Schlitten schieben. Rennen. Einen anderen, sauschweren Schlitten ziehen. Rennen. Hocksprung-Liegestütz. Rennen. Rudern. Rennen. Zwei schwere Gewichte schleppen. Rennen. Mit einem Sandsack auf den Schultern im Ausfallschritt laufen. Rennen. Und zum Schluss 100-mal einen Medizinball in drei Meter Höhe gegen die Wand werfen … Allein schon beim Aufzählen der Disziplinen treten Schweißperlen auf die Stirn. Ehrlich: Man muss ganz schön verrückt sein, freiwillig und ohne Sportlehrer mit Notenheft in der Hand bei so einem Zirkeltraining mitzumachen – und dann auch noch bei einem so extremen. Oder man heißt Dominik Fechner. Der 39-Jährige aus Gröbenzell ist der neuen Trendsportart Hyrox mit Muskel und Sehne sogar regelrecht verfallen. Und steht vom ersten Wettkampf an ganz vorne in der Liga der Weltbesten seiner Altersgruppe. Sein Motto „Aufgeben ist keine Option“ gilt für den Europameister aber nicht nur im Sport.

 

Schmales Gesicht, drahtiger Körper, Muskeln dort, wo sie hingehören und von allem nicht zu viel und nicht zu wenig: Der 39-Jährige hat eine Figur, wie man sie sonst nur auf Covers zu sehen bekommt. Wäre ja allein schon beeindruckend, ist es aber doppelt, kennt man seinen Weg dorthin.

 

Seit der Taufe seines zweiten Kindes im Januar 2020 trinkt Dominik Fechner keinen Alkohol mehr. Schaut er sich die Bilder von damals an, dann ohne Reue: „Das ist nur ein Teil von mir“, sagt er dann gleichmütig.

„Vom Party-Löwen zum Muskel-Kater“

 

ist der Titel, den er sich selbst verliehen hat. Tatsächlich ist der Gröbenzeller Bub schon in der Jugend sportlich aktiv, spielt Fußball bis zur Bayernliga. Mit 16 Jahren entdeckt er aber die andere Seite eines jungen Lebens: Partys. Abhängen mit Freunden. Von Donnerstag bis Montag und in den Ferien ist er der personifizierte „Partylöwe“ – jahrelang. Alkohol und falsche Ernährung hinterlassen Spuren: „Diego“ ist sein Spitzname, nicht weil Dominik Fechner so gut wie Maradona spielt, vielmehr wegen seiner Statur. 90 Kilo bei einer Körpergröße von 1,70 Metern. Oha! Er zeigt Fotos von sich: Beim Feiern auf dem Ballermann, auf Partys – ein regelrechter Moppel mit Bierflasche in der Hand, glasigen Augen und roten Pausbacken. Er schüttelt den Kopf. „Ich habe immer viel zu viel getrunken.“

 

Dann – und das ist erst acht Jahre her: die Wende. „Ganz klassisch“, sagt er und lacht sein sympathisches Lachen. Dominik Fechner will die Schuhe binden, bückt sich – und kommt nicht runter. Sein Bauch ist im Weg. Der Schock sitzt tief und die Erkenntnis, seine Lebensweise ändern zu müssen, auch. Er beginnt zu laufen (anstatt zu saufen) – stellt sich 2019 dem Tegernsee-Halbmarathon: 1:26:01 (heute schafft er die Distanz unter 1:20 Stunden). So wirklich „behilflich“ wird aber erst der Lockdown 2020: Feiern ist viele Monate nicht mehr. Sport treiben die einzige Möglichkeit, mal rauszukommen. Der junge Mann und bereits Vater eines Sohnes und einer neugeborenen Tochter, läuft weiter. Doch:

 

„80 Prozent ist die Ernährung – 20 Prozent der Sport“,

 

stellt er fest und probiert nahezu sämtliche Diäten aus, die es gibt, „irrt“ umher und sammelt Erfahrungen. Und reduziert sein Gewicht so weit, dass er immer länger laufen, immer mehr trainieren kann. Die Erfolge motivieren. Den Trainingsplan, den er sich selbst zusammengestellt hat, hält er akribisch ein. „Ich brauche Struktur.“

Trotzdem dauert es, bis das Gewicht unten ist. Was ihm dann aber nicht reicht. „Ich will mehr“, sagt Dominik Fechner und verschlingt statt Nahrung nun Bücher über Ernährung, Fitness und Kraftsport. Richtet sich in der Garage, dann im Keller ein eigenes kleines Hantelstudio ein. „Meine Mucki-Bude.“ Volle Kontrolle. Über seinen Körper, über das Training, über das Essen. Wieder ein Foto: Nichts mehr dran an dem Kerl, ein Knochengerüst, straff überspannt von Muskeln und Sehnen. „Das Abnehmen und Training war eine Sucht“, gibt Dominik Fechner zu, und erzählt, dass ihn sogar seine Verwandten nicht mehr erkannten. Gerade noch rechtzeitig kann er das Abnehmen stoppen, bevor es zur ernsten Essstörung wird. Neben seiner Arbeit als Handelsfachwirt studiert er dann Ernährungsberatung und macht seine Trainerlizenz („Halbwissen ist nicht mein Ding“), um seine Erfahrungen weiterzugeben.  

 

„Hyrox macht wahnsinnig Spaß.“

 

Ein Kunde, der ein paar Kilogramm abnehmen will, erzählt eines Tages von der neuen Ausdauer-Kraft-Sportart Hyrox, an der er teilnehmen will. „Völlig verrückt“, denkt Dominik Fechner spontan. Doch als er hört, dass der Kunde noch keinen „Blöden“ gefunden hat, der mit ihm auf die Strecke geht, sagt der Gröbenzeller: „Gerade hast du einen gefunden.“

 

Für den ersten Wettkampf hat er nicht viel Zeit zum Trainieren. Es gibt auch kaum Möglichkeiten. Darum setzt er seine beiden Kinder auf einen Autoreifen und zieht sie durch den Garten; schultert sie über den Nacken und macht die Ausfallschritte.

 

Februar 2022. Kurz vor dem Wettkampf ist der Kunde krank. Weil die Gebühr nicht erstattet wird, geht Dominik Fechner allein an den Start. Und qualifiziert sich für die Weltmeisterschaft in Las Vegas! Als einer von 3000 Teilnehmern tritt er im Einzel an. „Das Ergebnis stand für mich nicht im Vordergrund, sondern das Erlebnis“, sagt er, dessen 27. Platz in der Altersgruppe mehr als respektabel ist. Die Mischung aus Kraft und Ausdauer begeistert ihn, ebenso die anderen Athleten: „Doch ganz normale Menschen“, stellt Dominik Fechner fest. „Und keine Blöden.“

 

2023 qualifiziert er sich in Wien als Zweiter im Doppel erneut für die WM, diesmal in Manchester. An dem Tag ist er aber schon beim Marathon in Paris angemeldet. Im Herbst schafft er erneut die Qualifikation für die WM in Nizza, die heuer Ende Mai stattfand. (Platzierung aktuell unter www.gustl-magazin.de).

 

Den Hyrox-Parcours in einem Stück zu schaffen ist die erste Herausforderung, es unter einer Stunde zu schaffen die nächsthöhere. Seine persönliche Bestzeit ist im Einzel 1,01 Stunden. Im November, in Hamburg, will er es unter einer Stunde schaffen. Mit seinem Doppelpartner hat er erst im April einen Weltrekord in Berlin aufgestellt – keinen offiziellen, da er nicht in einer Halle, sondern im Außenbereich (Tempelhofer Feld) stattfand. Dennoch dokumentiert: 54,25 Minuten.  

 

Der heute 72 Kilogramm „schwere“ Athlet schiebt 175 Kilogramm schwere Schlitten und futtert „wie ein Scheunendrescher“. Und das, worauf er Lust hat. Aber bewusst und nicht nebenbei. Jeder Abend wird sogar mit einem großen Becher Eis beendet – zum Geburtstag bekam er deshalb eine Eismaschine.

„Mit Struktur kann man kleine Schritte groß machen.“

 

Ein bis eineinhalb Stunden trainiert Dominik Fechner, kleine Einheiten, die dennoch an die Grenzen gehen. „Schmerzen vergehen, der Stolz bleibt“, lautet auch seine Fitness-Devise. Trainieren, sagt er, ist für ihn ein Privileg. Kein Muss. Keine Qual, auch wenn es mal hart wird. „Ich hab eben Bock auf Transformation.“ Und Stillsitzen, das ist sowieso nicht sein Ding. Sogar unter dem Schreibtisch hat Dominik Fechner Hanteln, die er zwischendurch in die Höhe hievt. An den Wochenenden trainiert er auch schon mal bis zu drei Stunden – zu dem einen Ruhetag in der Woche muss er sich zwingen – obwohl er Sinn macht.  Dominik Fechner, der selbst die Boxer in einem Puchheimer Fitness-Studio trainiert (auch mit Elementen von Hyrox), hat seit einiger Zeit selbst einen Trainer, der sagt, was er tun darf und was nicht und zu dem er absolutes Vertrauen hat.

 

„Mein neues Ziel ist ein Ironman.“

 

Heuer kam er als zweitschnellster Deutscher in Mailand beim Marathon ins Ziel. Im September geht es nach Kopenhagen. Den Marathon in New York hat sich der Extrem-Sportler für seinen 40. Geburtstag im nächsten Jahr vorgenommen. Größtes Ziel ist jedoch der Ironman, für den er seit vier Jahren aufs Rennrad steigt. Kennt der Mann gar keine Grenzen? Er überlegt. Doch, einmal war er kurz davor aufzugeben. Bei dem 100-Kilometer- in-24-Stunden-Marathon-Marsch (Mega-Marsch) von Giesing nach Mittenwald. Bei Kilometer 70 war Dominik Fechner am Ende. „Meine schlimmste Grenzerfahrung“, erinnert sich der Extremsportler und dass er in diesem Moment die Worte seiner Mutter hörte. „Aufgeben ist keine Option.“

 

 

Bestzeiten und Platzierungen

Marathon

2021    München 3:24:32

2022    Gardasee 3:28:32

2023    Paris 2:56:37

Roth 2:58:51 (Staffel Challenge Roth)

Berlin 2:51:10

2024    Mailand 2:47:56

 

Wings for Life München

2024    Distanz 43,65 km als Pacer für Vorjahres Siegerin

 

HYROX alle Plätze in Altersgruppe (Division)

Einzel

2022    München 1. Teilnahme / Platz 9 / Zeit 1:15:12 (Open)

Las Vegas World Championships / Platz 27 / Zeit: 1:26:13 (Pro)

2023    München / Platz 8 / 1:18:29 (Pro)

2024    Karlsruhe / Platz 1 / Zeit: 01:01:10 (Open)

 

Doppel Gaspar Valant

2023    Wien / Platz 2 / Zeit: 57:22 (Open) = WM Quali Manchester aber keine Teilnahme (s.o.)

München / Platz 1 / 56:15 (Open)

2024    Wien European Championships / Platz 1 / 56:25 (Open) = Altersgruppe Europameister

Berlin / Platz 1 / 54:25 = Altersgruppe Weltrekord

WM Nizza

 

Kommende Wettkämpfe

2024    Allgäu Triathlon

Kopenhagen Halbmarathon

2025    IRONMAN Klagenfurt

2025    New York Marathon

 

 

 

Hyrox (ausgesprochen: Heirocks)

 

Der Kraft-Ausdauersport ist aktuell die am stärksten wachsende Disziplin seit Zumba und wird von Jugendlichen bis zu 80jährigen Rentnern betrieben. Gleichzeitig starten Gruppen von 15 und 30 Athleten – und im Abstand von fünf Minuten. Es gibt Einzelwertungen, Doppel und Staffel

 

Jeder Wettkampf beginnt mit einem Ein-Kilometer-Lauf. Dann geht es in die sogenannte Roxzone, in der die acht Disziplinen absolviert werden. Nach jeder Übung wird wieder ein Kilometer gelaufen.

Ski-Ergometer: 1000 Meter Skilanglauf auf dem Fitnessgerät

Sled Push: 50 Meter wird ein Gewichtsschlitten geschoben – mit Gewichten zwischen 102 Kilogramm (Frauen) und 202 Kilogramm (Männer-Pro-Klasse).

Sled Pull: 50 Meter wird jetzt der Schlitten über 50 Meter gezogen. Je nach Altersklasse mit Gewichten von 78 bis 153 Kilogramm.

Burpee Broad Jumps: 80 Meter weit Hockstrecksprünge aus dem Liegestütz im Wechsel mit Weitsprüngen aus dem Stand.

Rowing: 1000 Meter rudern auf dem Fitnessgerät.

Farmers Carry: Zwei Kettlebells (je nach Startklasse zwischen 16 und 32 Kilogramm schwer) werden 200 Meter weit getragen.

Sandbag Lunges: Mit einem zehn bis 30 Kilogramm schweren Sandsack auf dem Rücken bringen müssen die Sportler 100 Meter weit in Ausfallschritten schreiten.

Wall Balls: Ein Medizinball muss 75- bis 100-mal aus der Kniebeuge gegen einen markierten Punkt in etwa drei Meter Höhe geworfen werden.

 

Englertshofen

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Einmal München-Augsburg – mit dem Radl

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